Mit Familienanschluß
hätte Interesse an Ihrem Angebot …‹ schieden sofort aus. Man fängt keinen ersten Satz mit ›ich‹ an!
Desgleichen chancenlos waren die ›Wenn-Briefe‹ wie: ›Wenn ich mich bei Ihnen vorstellen dürfte …‹ Ein Satz, mit ›wenn‹ begonnen, gehört zu den erschütterndsten Erlebnissen eines Lehrers. Ganz schlimm aber waren die Briefe, bei denen die Kommafehler überwogen.
»Sieh dir das an, Hasi!« sagte Wolters geradezu ergriffen von seinen Erkenntnissen. »Kein Gefühl für den Fluß der Sprache, der durch die Interpunktion geregelt wird. Ich habe nun neunzehn Briefe gelesen … niederschmetternd, sage ich dir! Eine grauenhafte Unkenntnis von Punkt und Komma! Ein Semikolon scheint überhaupt unbekannt zu sein! Und so jemandem soll ich unseren Manfred anvertrauen? Hier …« Er schwenkte einen Brief. »Eine ›ausgebildete Gouvernante‹ angeblich Schweizer Lyzeumsausbildung, Diplom in Kinderpsychologie! Und schreibt doch tatsächlich bei: ›Ich glaube, daß ich der Aufgabe gewachsen bin …‹ das ›daß‹ mit einem einfachen runden ›s‹! Was soll ich mit solch einer Frau anfangen? Ein Diplom und ›daß‹ mit einem einfachen ›s‹! Ich würde immer daran denken, wenn ich sie ansehe! – Und so geht es weiter, in allen Briefen. Überall Unvollkommenheit, Lässigkeit in der Sprache, mangelhaft in der Interpunktion …«
»Sie soll Manfred betreuen, aber keine Germanistik lehren«, sagte Dorothea milde. »Um Manfred fünf Wochen lang zu beaufsichtigen, muß man ein Elefantenfell haben, aber keine Syntax kennen.«
»Von Syntax wollen wir gar nicht reden – die hat keine von allen!« Wolters schlitzte den zwanzigsten Brief auf, überflog ihn und stöhnte auf. »Man soll es nicht für möglich halten! Kindergärtnerin, 32 Jahre alt. Vier Kommafehler … Hasi, die Verflachung der deutschen Sprache ist erschütternd!«
»Ich fürchte, wir werden nie eine Betreuerin für Manfred bekommen, wenn du alle Bewerbungen wie einen Aufsatz zensierst.«
»Sollen wir unseren jüngsten Sohn einer Analphabetin in die Arme treiben?«
»Muckel, ein Kommafehler …«
»… ist ein gravierender Fehler, denn bei einem Satz ohne Komma fließen die Aussagen zu einem sinnlosen Brei ineinander! Ein Komma ist das Fundament des Stils!«
Er öffnete den 21. Brief, blickte auf ein Foto und deckte schnell den Brief über das Bild. Plötzlich wirkte Wolters etwas unsicher, stopfte seine Hängepfeife, brannte sie an und blickte versonnen den ersten Qualmwolken nach.
»Alle Briefe durch?« fragte Dorothea.
»Noch vier. Ich mache eine kleine Pause, um mich von diesen sprachlichen Verwirrungen zu erholen.«
Ganz langsam schob Hermann Wolters das Briefpapier etwas zur Seite und warf einen schrägen Blick auf das Foto. Es zeigte ein fröhliches, offenes, lachendes Mädchengesicht, umrahmt von schulterlangen, blonden Haaren. Kecke blaue Augen, deren Ausdruck Klugheit verriet. Die Figur war nur zu erraten, da das Foto ein Porträt war. Der erste Eindruck: angenehm. Hermann Wolters drückte sich da im Geist sehr vorsichtig aus …
Mit größerem Interesse als bisher begann er den Brief zu lesen. Das Fräulein hieß Eva Aurich, wobei Wolters der Vorname Eva ausgesprochen gut gefiel. Sie schrieb:
›Ihre Anzeige im Bamberger Blatt hat mich sehr interessiert …‹
Kein ›Ich-Satz‹ also. Das war schon ein Pluspunkt.
›Darf ich mich Ihnen vorstellen‹, hieß es weiter. ›Ich bin Studentin im 7. Semester, Germanistik und Kunstgeschichte. Berufsziel: Pädagogin in den Fächern Deutsch und Kunsterziehung. Meine Eltern leben in bescheidenen Verhältnissen, und so wäre es für mich sehr schön, wärend der Ferien ein wenig Geld nebenbei zu verdienen, eine schöne Sommerreise damit zu verbinden und mich im Umgang mit einem schwierigen Jungen zu üben. Versprochen wird: Einfühlungsvermögen in alle anfallenden Probleme und deren Überwindung. Für eine persönliche Vorstellung stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung.‹
Hermann Wolters las den Brief zweimal, rümpfte einmal die Nase, aber zwang sich, weiterzulesen.
Dorothea hatte ihn die ganze Zeit beobachtet. »Wieder ein schrecklicher Brief?« erkundigte sie sich. Sie kannte ihren Mann zu gut, um nicht zu wissen, daß dies ein besonderer Brief war, den er da gelesen hatte.
»Einer, der lobenswert aus der Masse herausragt«, antwortete Wolters. »Ich glaube, wir haben die richtige Dame für Manfred gefunden. Lies mal …« Er gab den Brief weiter, und Dorothea las ihn
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