Mit Freuden begraben – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
Mr. Judd war ein eifriger Leser der Schriften Cobbetts – »sondern hier , inmitten der Felder und Wälder, die unsere allergrößten Landsleute hervorgebracht haben und deren Gedenken jede Prüfung, jede Probe überstanden hat; hier, auf dem englischen Land, das seit Jahrhunderten besteht und das für Jahrhunderte bestehen soll.«
Nach diesem klangvollen Satz machte Mr. Judd eine Atempause; und nachdem er endlich die wiederholten Signale, die Captain Watkyn ihm während der letzten zehn Minuten gemacht hatte, verstanden oder anderweitig dekodiert hatte, beendete er seine Ansprache mit kaum verhohlenem Widerwillen und nahm wieder Platz. Der nun einsetzende Applaus war herzlicher, als er oder irgendwer sonst vorher erwartet hätte.
Fen ließ eine Rede folgen, die, obgleich weniger an Cicero orientiert und weniger leidenschaftlich als die von Mr. Judd, noch mehr Wirkung zeigte. Und auch wenn sich ihr Inhalt nicht zusammenfassen lässt, gelang es ihr doch, bei den dreißig oder vierzig Anwesenden eindeutig so etwas wie Enthusiasmus zu wecken. Seine Oxforder Vorlesungen hatten Fen zu einem geübten Redner gemacht (obwohl diese erstrebenswerte Fähigkeit zugegebenermaßen bei der überwiegenden Mehrzahl der Professoren nicht zu beobachten ist). An den höchsten Ansprüchen gemessen war seine Rede nichts Besonderes, aber dennoch war sie einige Klassen besser als alles, was Strode oder Wither zustande brachten. Strodes Hirn arbeitete langsam, sodass seine Ansprachen mit langen Pausen von Grabesstille gespickt waren, während derer er überlegte, was er als Nächstes sagen könne. Und Withers Versuche, witzig zu sein, waren dermaßen armselig, dass selbst die Wählerschaft in Sanford – einem Wahlkreis, der nicht unbedingt für seinen feinen Sinn für Humor bekannt war – sie als Zumutung empfand. Infolgedessen war Fen seinen Konkurrenten gegenüber erheblich im Vorteil, und er hinterließ einen so guten Eindruck, selbst unter den ernüchternden Umständen dieser Eingangsversammlung, dass Captain Watkyn sich zum ersten Mal mit der Möglichkeit konfrontiert sah, Fen könnte tatsächlich die Wahl gewinnen.
Die wenigen Fragen, die man ihm stellte, beantwortete Fen mit scheinbar großer Offenheit. Zwischenrufe wurden ihm erspart, weil die professionellen Zwischenrufer der Labour-Partei und der Konservativen in diesem Moment auf den Versammlungen der Konservativen beziehungsweise der Labour-Partei beschäftigt waren. Am Ende von Fens Wahlveranstaltung waren folglich alle relativ zufrieden, und Mr. Judd sogar in einem Stadium von an Hemmungslosigkeit grenzender Ausgelassenheit. Er zappelte herum, während Fen mit den Wahlkämpfern sprach, die Captain Watkyn seinetwegen zusammengetrommelt hatte, und drängte darauf, zum »Fish Inn« zurückzukehren. Er wollte unbedingt dabei sein, wenn Jacqueline von seinem triumphalen Auftreten unterrichtet würde. Es war vielleicht ein glücklicher Zufall, dass Jacqueline, als sie dort eintrafen, abwesend war und Myra allein hinterm Tresen stand. Und obgleich Mr. Judds Enttäuschung groß war, ließ sie sich durch Cherry Brandy und die vage Aussicht auf ein späteres Zusammentreffen lindern.
Fen ließ ihn sitzen, um hinaufzugehen und sich umzukleiden, fühlte er sich nach den Anstrengungen des Abends doch verschwitzt und unwohl. Er ließ sich viel Zeit und musste bei seiner Rückkehr enttäuscht feststellen, dass der Schankraum geschlossen und Mr. Judd nach dem kurzen, ruhmreichen Abstecher wieder in den normalen Zustand der Schüchternheit zurückgefallen und nach Hause gegangen war. Immerhin war Myra noch da, und er fragte nach einem Bier.
»Einen Halben, mein Lieber?«
»Ja, bitte. Und für Sie auch etwas.«
Fen nahm einen großen Schluck und wollte gerade fragen, ob es Neuigkeiten über den Verrückten oder über die Ermittlungen von Konstabler Sly gäbe, als plötzlich draußen jemand heftig gegen die Tür schlug.
»Wer zum Teufel kann das sein?«, fragte Myra.
Sie ging zur Tür hinüber und schloss auf. Das nichtsnutzige Schwein kam herein. Es sah verstaubt und müde aus, gerade so, als habe es eine sehr lange Reise hinter sich.
»Du lieber Gott, es ist wieder da«, sagte Myra.
»Wieder da?«
»Heute Nachmittag habe ich es verkauft. Es wollte nicht weg, das habe ich genau gesehen. Und nun ist es Bauer Lumley ausgebüxt und nach Hause gekommen.« Myra war über diesen Treuebeweis sichtlich gerührt. Mit der Spitze ihres Schuhs gab sie dem nichtsnutzigen Schwein einen
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