Mit Freuden begraben – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
uniformiert hätte bezeichnen können, hätten ihm nicht Umhang und Mütze gefehlt, fläzte sich in der Eingangshalle auf einem Küchenstuhl. Auf Fens Erscheinen hin blickte er von seiner Sportzeitung auf und erkundigte sich ohne großen Diensteifer nach Fens Anliegen.
»Ich habe einen Termin«, sagte Fen, »bei Dr. Boysenberry.«
Der Pförtner war offensichtlich erleichtert darüber, dass er sich nicht mit etwas Komplizierterem herumschlagen musste. »Gehen Sie immer geradeaus«, sagte er freundlich, »erster Gang links, zweite Tür rechts.« Dann schaute er wieder in seine Zeitung. »Wily Wilkie«, las er laut vor, »Filomela, Fiddle-de-dee, zehn zu eins.«
Fen ging an ihm vorbei, und nachdem er seinen Instruktionen gefolgt war, kam er an eine Tür mit einem Messingschild, auf dem zu lesen war: A. C. BOYSENBERRY, M.A., M.D., F.R.C.S. Hinter der Tür befand sich die Geräuschquelle. »Im ganzen Leben finde ich wohl kaum«, klang es aus dem Grammophon, »ein Gedicht voll Schönheit wie ein Baum.« Fen klopfte an. Es kam keine Antwort. Er klopfte wieder. Wieder kam keine Antwort. Des Wartens müde, öffnete er die Tür und ging hinein.
Der Raum, in dem er sich wieder fand, war riesig. Tatsächlich war er so groß, dass es sich bestimmt um den Ballsaal des Gebäudes handelte. Seine Weitläufigkeit wurde von dem Umstand betont, dass nur eine der hintersten Ecken überhaupt möbliert war. Man bekam den Eindruck, es handele sich hier um ein winziges Zeltlager in einer gigantischen Wüste. Weit hinten am anderen Ende des gebohnerten Parketts konnte Fen eine Schreibtischplatte mit einem Telefon, einem Grammophon und einem Wust von Papieren darauf entdecken. Vor dem Schreibtisch stand ein Puff mit geschmackloser Verzierung, dahinter saß ein Mann mit wirrem grauem Haar und einem Kneifer, der schief auf seinem Nasenrücken hing. Hinter dem Mann stand ein sehr kleines Bücherregal mit ungefähr fünf Büchern darin, darüber hing eine signierte Fotografie des Mannes am Schreibtisch. Links von der Fotografie stand ein riesiger Aktenschrank aus Metall, auf dem sich eine Schreibmaschine und ein Stapel Grammophonplatten befanden. Und davon abgesehen war der Raum leer.
Fen ging auf den Schreibtisch zu, wobei seine Schritte laut hallten. Während er sich näherte, legte der grauhaarige Mann den Finger an die Lippen und wies mit einer pantomimischen Forderung nach Stille auf das Grammophon. Fen kamen Zweifel. Es sah ganz so aus, als habe er es hier mit einem von Dr. Boysenberrys Patienten zu tun und nicht mit Dr. Boysenberry selbst. Das Leben ahmt die Literatur mit hündischer Treue nach, und in der Literatur existierten solche Verwechslungen zuhauf … Außerdem war die erste Bemerkung des grauhaarigen Mannes, nachdem die Platte zu Ende gelaufen war und er sie abgenommen hatte, wenig ermutigend. »Mögen Sie Balladen?«, fragte er.
»Naja, nein«, sagte Fen vorsichtig. »Ich glaube nicht, dass ich das von mir behaupten kann.«
»Nun, ich schon. Und was wir da soeben vernahmen, gehört zu meinen besonderen Favoriten. Es heißt Bäume . Wissen Sie, ich glaube, ich habe nie ein schöneres Gedicht gehört als Bäume .«
»Tatsächlich.«
» Gedichte machen ich und andere Laffen «, zitierte der Mann, » doch Gott allein kann Bäume schaffen … Wohlgemerkt stimmt letzterer Teil streng genommen nicht mehr, berücksichtigt man die jüngsten Laborexperimente auf dem Gebiet. Aber es bringt dennoch ein Gefühl der Erhabenheit zum Ausdruck, der äußersten Erhabenheit.«
»Sind Sie Dr. Boysenberry?«, fragte Fen zweifelnd.
»Ja doch, natürlich«, sagte Boysenberry. »Natürlich bin ich das … Und diese besondere Aufnahme ist einmalig gelungen. Außerdem ist Vorübergehen auf der Rückseite.«
»Nichts für einen barmherzigen Samariter.«
»Es ist jedoch weniger schön. Neumodischer Kram mit schiefen Akkorden …« An dieser Stelle kamen Dr. Boysenberry endlich seine Pflichten als Gastgeber zu Bewusstsein, und widerwillig stellte er die Schallplatte beiseite. »Aber setzen Sie sich doch«, sagte er. »Es bleibt Ihnen dafür nur der Puff, tut mir leid. Wir sind vor drei Jahren hier eingezogen, aber bis heute hat uns das Arbeitsministerium nicht einmal ein Viertel des Mobiliars bewilligt, das wir eigentlich bräuchten.«
»Dabei ist Ihr Sprechzimmer ungewöhnlich groß«, meinte Fen zurückhaltend.
»Es ist eine verdammte Scheune, das ist es. Man könnte meinen, in einem Gebäude wie diesem ließe sich ein anständiges
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