Mit Freuden begraben – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
dieser Meinung und fiel als Folge dessen durchs Examen … Ein Jahr vergeht«, fuhr Boysenberry, dramatisch ins historische Präsens verfallend, fort, »und als wir ihm das nächste Mal begegnen – der Krieg ist vorüber – besucht er Paris. Und während dieses Aufenthaltes macht sich für uns erstmalig bemerkbar, dass Elphinstone sich für Wilson hält, da er von einem Aufseher im Konferenzraum in Versailles dabei überrascht wird, wie er eine lange Rede über« – an dieser Stelle konsultierte Boysenberry die vor ihm ausgebreiteten Unterlagen – »über die Zukunft des Ruhrgebietes hält. Auf die Intervention des Aufsehers hin scheint er für kurze Zeit zu vergleichsweiser Normalität zurückgefunden zu haben, doch während der Überfahrt nach England überkommt ihn schließlich völlige geistige Umnachtung. Auf ungeklärtem Wege gelang es ihm, mehrere junge Frauen an Deck des Schiffes zu versammeln, und nach einigen einleitenden Bemerkungen zum Thema internationale Rechtsprechung befahl er ihnen, sich auf der Stelle ins Meer zu stürzen. Sie weigerten sich – woraufhin er zwei von ihnen packte und eigenhändig ins Meer stürzte … Glücklicherweise kann ich sagen, dass die Frauen, um einiges schlauer, aus dem Wasser gerettet werden konnten. Der arme Elphinstone jedoch war von jenem Augenblick an geisteskrank.«
»Oh je«, sagte Fen. »Aber würden Sie denn nicht sagen, dass sein Verhalten den Frauen gegenüber für eine gewisse Gewaltbereitschaft spricht?«
»Nein, nicht wirklich. Sie müssen verstehen, dass er ihnen den Befehl, sich zu ertränken, gerade deshalb erteilte, weil sie Frauen und keine Männer waren. Ihm schwebte so eine Art Witwenverbrennung vor, und er griff erst ein, als die Frauen ihm ihre Kooperation verweigerten. Obwohl er also unter bestimmten Umständen möglicherweise in der Lage wäre, eine Frau umzubringen, bezweifle ich sehr, dass er jemals einen Mann umbringen würde.«
Mittlerweile war Fen aber zu der Ansicht gelangt, dass Elphinstone zu absolut allem in der Lage wäre, deswegen beeindruckten ihn diese Auslegungen wenig. Als Argument gegen die Theorie, nach der Elphinstone Bussy ermordete, taugten sie jedenfalls nicht – wie übrigens alles andere auch, was Boysenberry ihm erzählt hatte. Fen zermarterte sich den Kopf, um zu einem neuen Ansatz zu gelangen. »Die Nacktheit«, fragte er dann. »Was ist damit?«
»Normaler Exhibitionismus.«
»Wie ich hörte, tritt er niemals in Verbindung mit der Handschuh-Fixierung auf?«
»Nein, nie. Wenn man die Fixierung auf Handschuhe als Mutterleib-Fixierung interpretiert, dann müssten die beiden Verhaltensweisen eigentlich immer gleichzeitig auftreten. Tatsache ist jedoch« – Boysenberrys Ton verriet Verärgerung über Elphinstones Weigerung, den elementarsten Grundsätzen der Psychologie zu gehorchen – »Tatsache ist jedoch, dass sie es nicht tun.«
»Gibt es irgendwelche besonderen Phobien?«
Boysenberry zögerte einen Augenblick lang und sagte dann: »Keine – außer vielleicht, es geht um seine Überzeugung, Wilson zu sein.«
»Zum Beispiel?«
»Nun ja, zum Beispiel Clemenceau.«
Clemenceau, dachte Fen düster; das erklärte wenig. Außerdem begann das Gespräch ihn zu langweilen. Wenn Beweise dafür existierten, dass X und nicht Elphinstone der Mörder von Bussy war, so würde er sie hier bestimmt nicht finden. »Ich glaube«, begann er, wurde aber dann von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Boysenberry entschuldigte sich kurz und bellte dann ein ›Herein!‹ über diverse Morgen hinweg, die ihn von der Tür trennten. Ein Pfleger kam in Begleitung eines älteren Patienten herein. Sie watschelten zum Schreibtisch hinüber.
»Firkin, Sir«, sagte der Pfleger. »Sie wollten ihn vor dem Mittagessen sehen.«
»Oh ja, das wollte ich.« Boysenberry missfiel die Unterbrechung offensichtlich. Immerhin bot sie ihm vielleicht die Gelegenheit, seine Fähigkeiten auf dem Gebiet der abnormen Psychologie zu demonstrieren. »Und«, fragte er den Geisteskranken, »wie geht es uns heute Morgen?«
»Nicht besser, jetzt, wo ich Sie sehe«, antwortete der Geisteskranke.
Boysenberry machte ein Gesicht, das Scharfsinn und wissenschaftlich motivierte Neugier verraten sollte. »Nun, da frage ich mich doch, weshalb Sie so etwas sagen?«
»Ich sage es, weil Sie so eine hässliche Fresse haben.«
»Du liebe Güte.« Boysenberry lachte gezwungen. »Tja, ich habe mich nie meines außerordentlich guten Aussehens gerühmt, aber trotzdem
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