Mit Freuden begraben – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
schinden. Angesichts der uneigennützigen Vehemenz, mit der Mr. Judd vorging, sah er sich aber schließlich gezwungen, diese Theorie fallen zu lassen. Es stellte sich einfach heraus, dass Mr. Judd auf die Aufregung des öffentlichen Lebens so reagierte, wie es für einen Menschen normal ist, der ansonsten zurückgezogen lebt. Diese Aufregung stieg ihm (wieder zitiere ich Captain Watkyn) zu Kopfe wie starker Wein; und wo er sie früher abgelehnt hatte, konnte er jetzt nicht genug von ihr bekommen. Für Fen und Captain Watkyn wurde seine Gesellschaft zu einer harten Geduldsprobe, denn Captain Watkyn hatte sich für politische Fragestellungen als solche nie interesiert, und Fen hatte vorübergehend jedes Interesse, das er früher gehegt haben mochte, verloren. Sie betrachteten Mr. Judds unvorhergesehene Leidenschaft mit demselben fatalistischen Schrecken, mit dem Frankenstein zum ersten Mal seinem Monster gegenübertrat. Und Mr. Judd stürzte ungehindert voran, so wie der Besen des Zauberlehrlings, und weder Fen noch Captain Watkyn wussten einen Zauberspruch, der mächtig genug gewesen wäre, ihm Einhalt zu gebieten.
»Seniorenbildung«, meinte Fen unglücklich. »Da er sich erst spät im Leben mit Politik befasst hat, ist Judd wie besessen davon. So wie ein Kind, das bemerkt, dass es seinen eigenen Namen schreiben kann und seinen Namen immer weiter schreibt, bis es vor Erschöpfung zusammenbricht.«
»Ah«, machte Captain Watkyn verstehend.
Es ist unbestreitbar, dass Mr. Judd in seinem Eifer zahlreiche Anhänger für Fen gewann; möglicherweise wurden seine Anstrengungen aber vom Herausgeber des Sanford Advertiser and Peek Gazette zunichte gemacht, der, wild entschlossen, sich für den von Fens Vater erwiesenen Gefallen zu revanchieren, alle Grenzen des guten Geschmacks auf desaströse Weise überschritt. In seiner Donnerstagsausgabe setzte er sich offen über jene große Tradition der Überparteilichkeit der britischen Presse hinweg, auf die uns die britischen Journalisten so unermüdlich hinweisen, indem er Fen und dessen Kandidatur über den grünen Klee lobte und alle anderen buchstäblich unerwähnt ließ. Selbst Captain Watkyn, dessen Optimismus eine notwendige Komponente seines Berufs und deswegen nicht so leicht zu dämpfen war, empfand einiges Unbehagen.
»Die Wahrheit ist doch, alter Junge, dass es verdammt getürkt wirkt«, sagte er. »Es sieht nach dem aus, was es ist: nach Schiebung. Ich befürchte, dass es Ihnen eher schaden als nützen wird. Erstaunlich, wie wenig Taktgefühl einige dieser Schreiberlinge doch besitzen.«
Mittlerweile hatten sich in der Gegend natürlich weit gewichtigere Schreiberlinge eingefunden, als der Herausgeber des Sanford Advertiser and Peek Gazette einer war. Wie schon gesagt, wurde den Sanforder Nachwahlen von der gesamten Nation anfänglich kaum Beachtung geschenkt. Einige der größeren Zeitungen brachten kleinere Titel wie »Professoren-Detektiv geht in die Politik«, aber der Platzmangel war so beträchtlich, dass es nur für kürzeste Meldungen reichte. Dass aber nun ein Mörder umging und Elphinstone ausgebrochen war, bot vielversprechendes Material und schürte darüber hinaus aus unerfindlichem Grund das Interesse an der Wahl. Schon bald saßen in den Kneipen von Sanford politische Berichterstatter und Kriminalreporter Seite an Seite, und wenn sie nicht gerade erbittert um Unterkünfte stritten, durchstreiften sie auf der Suche nach einer Story die Gegend. Weil Fen sich sowohl auf politischem als auch auf kriminalistischem Gebiet bewegte, war er sehr gefragt. Seine machiavellischen Versuche, Insiderwissen aus den Mordfällen in politische Unterstützung umzumünzen, endeten jedoch in einer Sackgasse. Wie er hätte wissen können – und vermutlich auch wusste –, war keiner der Journalisten vor Ort befugt, derlei Handel zu betreiben. Es war auch besser so, da Fen, was die Morde betraf, über keinerlei Insiderwissen verfügte und für den Fall, dass jemand auf sein Angebot eingegangen wäre, die Fakten hätte erfinden müssen; eine Tat, zu der er zweifellos imstande gewesen wäre, die man ihm am Ende aber doch nachgewiesen hätte. In der Folge waren die Reporter gezwungen, sich mit Mr. Judd zu begnügen, der gewillt war, endlos sowohl über Verbrechen als auch über Politik zu reden. Seine obiter dicta auf ersterem Gebiet waren jedenfalls weit verbreitet. Die Verkaufszahlen von Annette de la Tour zogen merklich an, und Annette de la Tours Verleger trank zum
Weitere Kostenlose Bücher