Mit Freuden begraben – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
Mittagessen neuerdings Lafite statt Margaux. Es herrschte allgemeine Zufriedenheit mit der Situation.
Fen ließ Wolfe und Humbleby im Krankenhaus zurück und fuhr zum »White Lion«, um Captain Watkyn zu treffen. Er entdeckte ihn, wie er sich in der Eingangshalle unglücklich unter den lauernden, an Coleridges alten Seemann erinnernden Blicken von Mr. Judd wand. Dessen politischer Albatros, das Parteiensystem, hatte nach einem arbeitsamen Nachmittag in der Bücherei erheblich an Federn gewonnen, worüber Mr. Judd sich lang und breit ausließ. Fen konnte ihn lang genug unterbrechen, um herauszubekommen, dass er an diesem Morgen keine Termine mehr hatte; dann ergriff er unhöflich die Flucht und fuhr unter einem wolkenlosen Himmel zurück zum »Fish Inn«.
Er bestellte einen Kaffee, mit dem er sich auf seine Rasenwalze setzte und in unzusammenhängenden Gedanken über die Wahl und die Verbrechen nachdachte. Im Innern des Gasthauses hämmerten Mr. Beaver und seine Gehilfen eintönig vor sich hin, warteten aber dann mit einer Abwechslung in Form einer Säge auf, deren Stimme wie die einer von unbändigen Schmerzen geplagten Wiesenknarre klang. Schnell erhob Fen sich und verließ den Garten. Er teilte Sir Max Beerbohms Ansicht, nichts sei dem Denken so abträglich wie ein Spaziergang, von ganzem Herzen, aber im Moment bot sich keine bessere Alternative. Ziemlich niedergeschlagen begab er sich auf die Hauptstraße des Dorfes.
Es gab eine Abzweigung, die er bislang noch nicht erkundet hatte – eine Straße, die am Pfarrhaus vorbeiführte und, so besagte es ein altes Hinweisschild, im zwanzig Kilometer entfernten Dorf Wythendale endete. Also machte Fen sich auf den Weg, und bald kam er ans Gartentor des Pfarrhauses, wo er sowohl das Wohnhaus des Amtsinhabers – ein großes, unauffälliges, graues Gebäude – als auch den Amtsinhaber selbst in Augenschein nehmen konnte, der abgewetzte Flanellhosen trug und sich im Vorgarten über seine kränkelnden Stockrosen beugte. Von diesen Objekten wechselte Fens Aufmerksamkeit bald zu einem leuchtend bunten Insekt hinüber, das auf einem Zweig neben dem Tor saß und das er versuchsweise mit dem Zeigefinger anstupste. Es versetzte ihm prompt einen äußerst schmerzhaften Stich und flog davon. Fen, dem alles Stoische abging, stieß vor lauter Schmerz und Verzweiflung einen Schrei aus, woraufhin der Pfarrer sich abrupt aufrichtete und zu ihm hinübersah. Und im nächsten Augenblick wurde aus einem der oberen Fenster des Pfarrhauses eine kleine weiße Kaffeetasse heruntergeschleudert, die die Nase des Pfarrers nur um Zentimeter verfehlte.
Kapitel 16
Nun erwartete Fen selbst bei den trivialsten Beschwerden von seinen Mitmenschen, dass sie es als ihre unveräußerliche Pflicht ansehen, ihm sofort Mitgefühl und Hilfe anzubieten und dieses Angebot so lange aufrechtzuerhalten, bis er sein ausgiebiges Klagen beendet hat. Aus diesem Grund hätte er es unter normalen Umständen nur recht und billig gefunden, wenn der Rektor aufgrund seines Schreis mit einem Ausdruck der tiefsten Beunruhigung und Besorgnis auf ihn zugestürzt wäre. Wenn es um die Hirtenpflichten der Geistlichen ging, erwies sich Fen als besonders anspruchsvolles und wählerisches Schaf. Die augenblickliche Situation jedoch stimmte ihn nachdenklich. Es stand dem Pfarrer zweifellos an, nach dem ersten Schrecken darüber, mit einer Kaffeetasse attackiert worden zu sein, die eigenen Probleme hintan zu stellen und ihm, Fen, zu Hilfe zu eilen; dass er die Kaffeetasse aber gänzlich ignorieren und nicht einmal in die Richtung schauen würde, aus der sie gekommen war, verwunderte ihn doch ein wenig. Jetzt lag die Tasse neben dem Pfarrer in einem Blumenbeet. Er konnte sie unmöglich nicht gesehen haben, und zumindest hätte er den Luftzug spüren müssen, als sie vorbeiflog. Weil der Pfarrer aber keine der zu erwartenden Reaktionen zeigte, hatte er sie vielleicht wirklich nicht bemerkt. Als er die Gartenpforte erreicht hatte, betrachtete Fen ihn schon mit gewissem Misstrauen. Außerdem stellte sich schnell heraus, dass seine Vermutungen in die falsche Richtung gingen.
»Was haben Sie gesehen?«, wollte der Pfarrer wissen. »Was war es, das Sie sahen?«
»Was ich sah?« Fen runzelte tadelnd die Stirn. »Ich sah, wie man mit einer Kaffeetasse nach Ihnen warf, wenn es das ist, was Sie meinen.«
»Aber wenn ich mich nicht irre, ging Ihr Schrei dem Wurf der Tasse voraus. Könnte es sein, dass Sie den Werfer gesehen haben?«
»Nein,
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