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Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)

Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)

Titel: Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Voosen
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Fröhlich dudelt mir irgendeine Fahrstuhlmusik ins Ohr, und ich wippe im Takt dazu auf meinem Bürosessel hin und her, um mich in die richtige Stimmung zu grooven. Derweil erhalte ich noch ein letztes Coaching von Lutz.
    »Los, grins«, fordert er mich auf, und ich ziehe pflichtschuldig die Mundwinkel nach oben. »Noch mehr. Noch mehr. Und rede ein bisschen lauter als normal.«
    »Ich komme mir so blöd dabei vor«, wispere ich ihm zu, doch er schüttelt vehement den Kopf.
    »Ich habe mal für das Stück ›Einer flog über das Kuckucksnest‹ vorgesprochen. Vertrau mir«, sagt er und tätschelt meine Hand. Gerade will ich ihn fragen, warum er denn die Rolle nicht bekommen hat, wenn er so ein Profi ist, da knackt es in der Leitung.
    »Huber?«
    »Guten Tag, Herr Huber, hier spricht Viviane Sonntag«, rufe ich fröhlich in den Hörer.
    »Ach, Frau Sonntag«, kommt es reserviert zurück.
    »Ich habe gute Neuigkeiten«, trompete ich, »wenn alles gut geht, kann ich noch diese Woche zurück zur Arbeit kommen. Wie finden Sie das?«
    »Wie ich das finde?«, fragt Herr Huber hilflos, »na ja, also, das ist ja nun schon etwas … überraschend. Die sechs Wochen sind doch noch nicht vorbei. Wollten Sie sich nicht erst einmal gründlich ausruhen?«
    »Aber das habe ich doch getan«, schreie ich aus Leibeskräften, »aber bei mir geht eben alles schneller als bei anderen Leuten. Auch das Erholen, wissen Sie?« Ich stoße dasselbe hysterische Lachen aus wie vorher bei Frau Sandner, und auch hier verfehlt es seine Wirkung nicht. Ich kann Herrn Huber förmlich durch die Leitung transpirieren hören.
    Lutz nickt begeistert und zeigt mir den hochgereckten Daumen.
    »Frau Sonntag, Sie klingen aber noch nicht besonders gesund, wenn ich das so sagen darf.«
    »Ich bin vollkommen gesund«, jaule ich.
    »Aber warum schreien Sie denn so?«, fragt er mit merklicher Erschöpfung in der Stimme. »Ich bin doch nicht taub.«
    »Oh, Entschuldigung«, sage ich und drossele meine Lautstärke um einige Dezibel, »es muss meine überschäumende Energie sein. Ich muss einfach schleunigst wieder arbeiten.«
    »Aber... äh...« Er ist höchst eloquent, mein Chef. Schließlich bringt er doch noch so etwas wie einen vollständigen Satz zustande: »Frau Sonntag, wollten Sie sich nicht Gedanken darüber machen, sich möglicherweise einen weniger, nun, äh, belastenden Job zu suchen?«
    »Wie kommen Sie denn darauf?«, kreische ich.
    »Nun, zum Beispiel wegen des verpatzten Vereinsbank-Projektes.«
    »Das werde ich wieder ausbügeln, gar kein Problem«, versichere ich lautstark.
    »Frau Sonntag, bitte, schreien Sie doch nicht so«, fleht Herr Huber, der mit den Nerven anscheinend schon ziemlich am Ende ist. Und so was nennt sich Seniorpartner!
    »Entschuldigung«, flüstere ich, »also, dann komme ich am Montag wieder vorbei. Wo werden Sie mich einsetzen?« Es entsteht eine lange Pause, an deren Ende sich Huber vernehmlich räuspert.
    »Frau Sonntag«, sagt er dann sanft, »bitte seien Sie doch vernünftig.«
    »Bruch«, wispert Lutz mir zu, und ich atme tief durch. Der »Bruch«, das hat er mir erklärt, ist der plötzliche Stimmungsumschwung der Figur in der Szene. In meinem Fall, denn ich bin ja nicht ganz dicht, von »himmelhochjauchzend« zu »zu Tode betrübt«.
    »Wie meinen Sie das?«, erkundige ich mich mit einem gekonnten Zittern in der Stimme. Huber seufzt.
    »Ich wünschte, Sie würden endlich einsehen, dass dieser Job nicht das Richtige für Sie ist.«
    »Ja aber …« Ich tue so, als würde mir die Stimme brechen, und sehe in Lutz’ Gesicht, der die ganze Geschichte mit zu durchleben scheint. »Soll das heißen, dass Sie mir kündigen wollen?«, frage ich weinerlich.
    »Nein, keinesfalls.« Ich grinse in mich hinein. Eigentlich meint er nämlich: Ja, unbedingt. Nur weiß er, dass ich ihn verklagen kann, wenn er mich wegen eines Nervenzusammenbruchs rauswirft, der auch noch durch die unmenschlichen Arbeitszeiten in seiner Firma zustande gekommen ist.
    »Was denn dann?«, schluchze ich und schüttele mich innerlich. Dieses Schmierentheater ist ja wirklich schrecklich. Aber Lutz, der mir gegenübersitzt, nickt heftig mit dem Kopf und krümmt sich auf seinem Stuhl zusammen, verzieht das Gesicht, bis er aussieht wie eine verschrumpelte Rosine. Bei diesem Anblick muss ich plötzlich losgackern und halte mir gleich darauf erschrocken die Hand vor den Mund. Huber muss denken, er hat eine vollkommen Wahnsinnige am Ohr.
    »Beruhigen Sie sich«, beeilt

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