Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
einem Frauentorso, dem drachenähnliche Zacken die Wirbelsäule hinunterwachsen, bleiben wir stehen.
»Konnte sie noch nicht sagen«, beantwortet Simon knapp die Frage und fügt achselzuckend hinzu: »So ist das eben mit Geschäftsfrauen.«
»Oh, alles eine Frage der Prioritäten«, meint Lutz und zieht mich an sich. Ich versetze ihm einen Rippenstoß, den er ohne mit der Wimper zu zucken einsteckt. Auch mein drohendes Augenrollen übersieht er geflissentlich. »Ich meine, wenn sich eine Frau keine Zeit nimmt, dann ist sie eben nicht verliebt genug. Umgekehrt ist es ja auch so«, fährt er ungerührt fort und weicht mit einem geschickten Seitschritt meinem Pfennigabsatz aus. »Ich arbeite wirklich eine Menge. Na ja, so ein hübsches Abendkleid für zwischendurch will ja auch bezahlt werden, nicht wahr? Aber wenn mir eine Frau etwas bedeutet, dann bekommt sie nicht nur teure Geschenke. Ich meine, natürlich bekommt sie teure Geschenke«, er küsst mich auf die Wange, »aber sie bekommt auch meine Zeit. Ich schaffe mir Freiräume. Egal wie.« Oh, das ist nicht gut. Das läuft alles in keine gute Richtung. Sorgenvoll betrachte ich Simons Gesicht, das von Augenblick zu Augenblick mehr versteinert.
»Wo ist denn Babsi?«, unterbreche ich Lutz’ Redestrom und ramme ihm erneut den Ellenbogen in die Seite. Endlich kapiert er und schließt den Mund.
»Ich gehe sie mal suchen«, antwortet Simon, wirft mir einen letzten, undurchdringlichen Blick zu und verschwindet in der Menge. Ich beherrsche mich nur so lange, bis er außer Hörweite ist, und drehe mich dann wütend zu Lutz herum.
»Was redest du da für einen Schwachsinn?«, schimpfe ich halblaut, »verdammt noch mal.«
»Was? Wieso das denn?« Völlig verständnislos sieht er mich an.
»Was faselst du da von Prioritäten? Simon hat mich genau deshalb verlassen, weil ich keine Zeit für ihn hatte. Und ich habe ihn geliebt. Sehr sogar. Und trotzdem konnte ich mir die Zeit nicht einfach so nehmen, wie du das mal so eben behauptet hast.«
»Bist du sicher?«
»Ich …« Jetzt hat er mich ein wenig aus dem Konzept gebracht. »Natürlich bin ich sicher. Sonst hätte ich es doch getan. Verdammt, jetzt denkt Simon, ich hätte ihn nicht wirklich geliebt.« Bei dem Gedanken an sein Gesicht stöhne ich leise auf. »Und er denkt, dass ich dich liebe, weil ich Zeit finde, mit dir an einem Freitagabend auszugehen.«
»Wo ist denn das Problem? Ich dachte, das wolltest du.«
»Ich, nein, das wollte ich ganz und gar nicht«, sage ich entrüstet.
»Sondern?« Plötzlich weicht meine ganze Empörung aus mir wie aus einem Luftballon, und ich fühle mich einfach nur grenzenlos erschöpft.
»Weiß nicht«, sage ich weinerlich. Sanft fasst Lutz mich am Arm und führt mich in an die Wand, wo ein mit schwarzem Leder bezogenes Sofa steht.
»Komm, setz dich erst mal hin, und ich besorge was zu trinken.«
»Ist gut.« Mit wackeligen Beinen lasse ich mich auf die Couch sinken und schließe die Augen.
»Hier«, damit hält er mir ein Sektglas entgegen, das ich zögernd annehme.
»Ich vertrage eigentlich keinen Sekt«, gebe ich zu bedenken.
»Was für ein Glück, dass es Champagner ist«, meint er grinsend und stößt mit mir an. Ich weiß zwar nicht, wo da der Unterschied sein soll, aber nehme dennoch einen Schluck. Mmmh, lecker. »Na los, nicht so zimperlich, das ist gut für den Kreislauf«, nötigt Lutz mich, und ich nippe noch einmal am Glas. In diesem Moment spazieren Simon und seine Schwester an uns vorbei. Er hat uns auch gesehen, sieht aber verbissen in die andere Richtung. Na warte. Mit einem Zug leere ich mein Glas und komme auf die Füße. Gerade noch rechtzeitig erwische ich Babsi am Schlafittchen.
»Babsi!«
»Vivi! Wie schön, dass du da bist.« Während wir uns umarmen, überkommt mich eine Welle der Zuneigung. Wir haben uns immer super verstanden, nach so vielen Jahren Beziehung war sie fast auch so etwas wie meine Schwester. Aber seit der Trennung habe ich sie natürlich nicht mehr gesehen. Als wir uns voneinander lösen, sehe ich als Erstes Simons genervten Gesichtsausdruck. Und dann den abwartenden von Lutz.
»Ähm, Babsi, das ist Lutz«, stelle ich ihn vor, und während sie sich die Hände schütteln, ergänzt der:
»Ihr neuer Freund.«
»Kannst du mir noch was zu trinken holen, bitte?«, frage ich ihn mit einem liebenswürdigen Augenaufschlag und einem nicht ganz so liebenswürdigen Blick. Ich möchte lieber verhindern, dass er noch mehr Unheil
Weitere Kostenlose Bücher