Mit geschlossenen Augen
Meter siebzig gewachsen. Dann gehe ich ins Bad, drehe den roten Lippenstift aus seiner Hülse und male meine weichen, saftigen Lippen damit an. Danach tusche ich mir die Wimpernbürste mein langes, glattes Haar, sprühe mich dreimal mit dem Parfüm an, das auf der Spiegelablage steht, und gehe in mein Zimmer zurück, wo ich endlich die Person sehen werde, die meinen Körper und meine Seele zum Vibrieren bringt. Ich betrachte mich entzückt, meine Augen glänzen und tränen beinahe; ein besonderes Licht umfließt meinen Körper, und mein weich auf die Schulter fallendes Haar lädt mich ein, es zu streicheln. Von den Haaren wandert meine Hand, fast ohne dass ich es merke, zum Hals hinunter und liebkost seine zarte Haut, zwei Finger umfassen und drücken ihn behutsam. Die Lust beginnt sich zu melden, wenn auch noch kaum vernehmbar, ein leiser Klang nur. Die Hand gleitet weiter abwärts, streichelt den glatten Busen. Das als Frau verkleidete Mädchen vor mir hat Augen, die vor Sehnsucht brennen (wonach sehnt sie sich? Nach Sex? Nach Liebe? Nach dem wahren Leben?). Sie ist Herr ihrer selbst. Ihre Finger verschwinden zwischen den Schamhaaren, eine Hitzewelle steigt ihr zu Kopf, tausend Gefühle überschwemmen mich.
»Du gehörst mir«, flüstere ich mir zu, und im nächsten Moment beherrscht die Erregung mein Verlangen.
Ich beiße mir mit den perfekten weißen Zähnen auf die Lippen, mein Rücken schwitzt unter den zerzausten Haaren, winzige Tropfen überziehen meinen Körper wie ein Netz aus Perlen.
Ich keuche, mein Atem wird immer kürzer ... Ich schließe die Augen, mein ganzer Körper zuckt, mein Geist fliegt frei hinaus. Die Knie geben nach, das Keuchen bricht ab, die Zunge fährt müde über die Lippen. Ich öffne die Augen: Das ist es, das Mädchen, ich lächle es an, gehe zum Spiegel und gebe ihm einen langen, innigen Kuss, mein Atem beschlägt das Glas.
Ich fühle mich allein, verlassen ‒ wie ein Planet, um den in diesem Augenblick drei verschiedene Sterne kreisen: Letizia, Fabrizio und der Nachhilfelehrer. Drei Sterne, die mir in meinen Gedanken Gesellschaft leisten, nicht aber in der Wirklichkeit.
21. Februar
Ich habe meine Mutter zum Tierarzt begleitet; wir wollten unser Kätzchen untersuchen lassen, das an einer leichten Form von Asthma leidet. Als der Arzt es mit seinen Gummihandschuhen berührte, hat es ängstlich miaut; ich streichelte ihm den Kopf und tröstete es mit sanften Worten.
Im Auto fragte mich meine Mutter, wie es in der Schule und mit den Jungs läuft; ich gab beides Mal ausweichende Antworten. Lügen ist mir inzwischen zur Gewohnheit geworden, ich fände es komisch, nicht mehr lügen zu müssen ...
Später bat ich sie, mich zu meinem Nachhilfelehrer zu begleiten. »Prima, so lerne ich ihn endlich einmal kennen!«, meinte sie zufrieden. Ich widersprach ihr nicht, damit sie keinen Verdacht schöpft; davon
abgesehen war ich sicher, dass Valerio jeden Moment damit rechnete, die Bekanntschaft meiner Mutter zu machen.
Gott sei Dank war er diesmal seriöser gekleidet, aber als ich meine Mutter zum Aufzug zurückbegleitete, sagte sie seltsamerweise: »Der Mann gefällt mir nicht, der sieht irgendwie pervers aus.«
Ich machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte, ich müsse ihn ja nicht heiraten. Und überhaupt: Dieser Tick meiner Mutter, den Leuten ihren Charakter am Gesicht ablesen zu wollen, geht mir auf den Wecker.
Als ich wieder bei ihm im Zimmer war, meinte Valerio: »Hol dein Heft raus, wir fangen sofort an.« Kein Wort über unser Telefongespräch, nur Kubikwurzeln, Quadratwurzeln und Binome ... Auch sein Blick war so gut getarnt, dass mir wirklich Zweifel kamen: Was, wenn er sich mit diesem Telefonat nur über mich hatte lustig machen wollen? Wenn ich ihm völlig schnuppe war und er nichts als einen Orgasmus am Telefon gewollt hatte? Ich hatte mir keine ausführliche Besprechung erwartet, aber wenigstens eine kurze Erwähnung, eine Anspielung ... Nichts!
Doch später, als er mir mein Heft zurückgab, sah er mich an, als hätte er alles verstanden, und sagte: »Nimm dir für Samstagabend nichts vor. Und warte mit dem Anziehen, bis ich dich angerufen habe.«
Ich sah ihn verwundert an, sagte aber nichts, ja, ich heuchelte ihm eine total absurde Gleichgültigkeit vor, während ich das Heft aufschlug und las, was er mit winziger Schrift zwischen x und y geschrieben hatte:
Wie ein Paradies war meine Lolita, ein lichterloh bren- nendes Paradies.
Prof. Humbert
Auch danach habe ich
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