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Mit geschlossenen Augen

Mit geschlossenen Augen

Titel: Mit geschlossenen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Panarello
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»Ich weiß; ungehorsam sein ist das, was ich am besten kann.«
Er drückte mir einen etwas geräuschvollen Kuss auf die Wange, dann fuhren wir los, einem unbekannten Ziel entgegen.
Ich hörte nicht auf, mir mit den Fingern durchs Haar zu streichen; er dachte vielleicht, das sei Nervosität, aber es war nur Ungeduld. Am liebsten hätte ich ihn sofort genommen, an Ort und Stelle und ohne großes Vorweg. Ich weiß nicht mehr, worüber wir während der Fahrt sprachen, mein einziger Gedanke war, ihn zu besitzen; ich schaute ihm in die Augen, während er fuhr; seine Augen gefallen mir: Sie haben lange schwarze Wimpern und etwas Geheimnisvolles, Anziehendes. Ich merkte, dass er mir verstohlene Blicke zuwarf, aber ich tat, als wäre nichts ‒ auch das gehört zum Spiel. Dann kamen wir im Paradies an, vielleicht auch in der Hölle ‒ hängt davon ab, wie man es betrachtet. Mit seinem Wagen kurvten wir durch verlassene Straßen und Sträßchen, die so eng waren, dass wir kaum durchkamen; irgendwann fuhren wir an einer halb verfallenen, mit Efeu und Moos bewachsenen Kirche vorbei. »Schau, ob du links irgendwo einen Brunnen siehst«, sagte Valerio zu mir. »Gleich dahinter geht die Seitenstraße ab, in die ich will.«
Ich suchte aufmerksam die Straße ab und hoffte inständig, diesen Brunnen in dem dunklen Labyrinth bald zu finden.
»Da ist er!«, schrie ich etwas zu laut.
Valerio hielt vor einem rostigen grünen Tor, in das Wörter und Sätze eingeritzt waren; im Licht der Scheinwerfer erkannte ich ein zitterndes Herz mit zwei Namen: Valerio und Melissa.
Ich deutete verwundert darauf und sah ihn an.
»Nicht zu fassen ...!«, meinte er lächelnd, dann wandte er sich mir zu und flüsterte: »Siehst du? Wir stehen in den Sternen geschrieben.«
Ich begriff nicht ganz, was er damit sagen wollte, aber dieses »wir« beruhigte mich und machte, dass ich mich als Teil eines Ganzen fühlte, das sich aus zwei ähnlichen Elementen zusammensetzte und nicht aus zwei total verschiedenen wie ich und der Spiegel.
Ich hatte Angst in diesem Paradies, denn es war dunkel, abschüssig und kaum begehbar, vor allem mit hochhackigen Stiefeln. So oft es ging, klammerte ich mich an ihn, wollte seine Wärme spüren. Mehr als einmal sind wir über irgendwelche Steinbrocken gestolpert, die in diesen winzigen, von hohen Mauern gesäumten Gassen herumlagen; es war stockfinster, das Einzige, was man sehen konnte, war der sternenübersäte Himmel über uns und der Mond, der kam und ging, Versteck spielte wie wir selbst. Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie kam mir dieser Ort unheimlich und makaber vor. Albernerweise ‒ vielleicht auch zu Recht ‒ stellte ich mir vor, dass irgendwo in der Nähe eine schwarze Messe zelebriert würde: Ich war das Opfer; Männer mit Kapuzen fesselten mich an einen Tisch, um mich herum Kerzen und Kandelaber, dann vergewaltigten sie mich der Reihe nach und rammten mir zum Schluss einen scharfen Dolch mit gewellter Klinge in den Leib. Aber ich vertraute ihm, und diese düsteren Gedanken rührten vielleicht nur
daher, dass ich diesen an sich magischen Moment nicht richtig zu deuten wusste. Die engen Gassen führten uns zu einer natürlichen Terrasse, einer Art Plattform hoch über dem Meer; von unten drang das Rauschen der Brandung zu uns herauf. Überall lagen große weiße Felsbrocken, die völlig glatt geschliffen waren; ich konnte mir schon denken, wozu die gut sein würden. Wir gingen darauf zu und stolperten dabei zum hundertsten Mal; er zog mich an sich, brachte sein Gesicht an meins; unsere Lippen berührten sich, ohne sich zu küssen, jeder nahm den Geruch des anderen in sich auf und lauschte seinem Atem. Dann verschmolzen wir miteinander, unsere Lippen bissen, saugten und verschlangen einander, und unsere Zungen fanden sich. Valerios Zunge war heiß und weich und fühlte sich wie eine Feder in meinem Mund an, trotzdem durchfuhr mich ein Schauer. Unsere Küsse wurden immer glühender, bis er mich fragte, ob er mich jetzt berühren dürfe, ob das der richtige Moment sei. Ja, habe ich gesagt, das ist der richtige Moment. Als er entdeckte, dass ich keinen Slip trug, hielt er inne, als ließe mein nacktes Fleisch ihn erstarren, aber nur wenige Sekunden. Dann spürte ich seine Fingerkuppen auf meinem Vulkan, der kurz vor dem Ausbrechen war. Er sagte, er wolle mich schmecken, also setzte ich mich auf einen dieser riesigen Felsbrocken; seine Zunge streichelte mein Geschlecht, wie die Hand einer Mutter das Köpfchen ihres

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