Mit Haut und Haar: 6. Fall mit Tempe Brennan
abgeschnitten. Sobald die Tiere keine Gallenflüssigkeit mehr produzieren, werden sie wegen der Gallenblasen getötet.«
»Kann UDCS nicht synthetisch hergestellt werden?«
»Doch. Und es existieren auch viele pflanzliche Alternativen.«
»Aber die Leute wollen das Echte.«
»Genau. Viele denken, dass künstliche UDCS nicht so wirksam ist wie die natürliche Form. Dabei ist es genau andersherum. Die Menge an natürlicher UDCS in Bärengalle kann zwischen null und dreiunddreißig Prozent schwanken, kaum eine verlässliche Quelle für ein Medikament.«
»Alte kulturelle Vorstellungen halten sich hartnäckig.«
»Gesprochen wie ein Anthropologe. Weil wir gerade davon sprechen, warum interessieren Sie sich für Spix-Aras und Schwarzbären?«
Ich ging die Ereignisse der letzten Woche durch. Was konnte ich ihm mitteilen? Was musste ich zurückhalten?
Tamela Banks und Darryl Tyree?
Vermutlich kein Zusammenhang. Also vertraulich.
Ricky Don Dorton und der Cessna-Absturz?
Siehe oben.
Die gestrigen Drohungen aus dem Cyberspace?
Wahrscheinlich unwichtig.
Ich berichtete Zamzow von den Funden auf der Foote-Farm, allerdings ohne Tamela Banks’ Führerschein zu erwähnen. Außerdem erzählte ich ihm von dem Skelett in Lancaster County.
Volle dreißig Sekunden lang hörte ich gar nichts.
»Sind Sie noch dran?«, fragte ich, weil ich dachte, die Verbindung wäre unterbrochen.
»Ich bin noch da.«
Ich hörte ihn schlucken.
»Sie sind im Institut des ME?«
»Ja.«
»Arbeiten Sie noch eine Weile?«
»Ja.« Was sollte denn das?
»Ich bin in drei Stunden bei Ihnen.«
22
Zamzow traf kurz nach Mittag ein. Er war ein kräftig gebauter Mann, etwa Mitte vierzig, mit dicken, stacheligen und sehr kurz geschnittenen Haaren. Seine Haut war teigig weiß, die Augen von exakt demselben Rotbraun seiner Haare und seiner Sommersprossen, was ihm eine blasse, monochrome Erscheinung verlieh, so als hätte er sein ganzes Leben in einer Höhle verbracht.
Zamzow setzte sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch und kam gleich zur Sache.
»Vielleicht steckt gar nichts dahinter, aber ich musste heute Vormittag sowieso ins Pee Dee Wildlife Refuge in Anson County, also dachte ich, ich mache den kurzen Umweg nach Charlotte und sage Ihnen das persönlich.«
Ich erwiderte nichts, denn ich hatte keine Ahnung, was so wichtig sein mochte, dass Zamzow meinte, es mir unter vier Augen mitteilen zu müssen.
»Vor fünf Jahren verschwanden zwei Beamte des FWS. Einer arbeitete von meinem Büro aus, die andere war auf Zeit in North Carolina angestellt.«
»Erzählen Sie mir von den beiden.« Ein Schauer der Aufregung lief mir durchs Rückgrat.
Zamzow zog ein Foto aus seiner Hemdtasche. Darauf lehnte ein junger Mann an einer Steinbrücke. Er hatte die Arme verschränkt und lächelte. Auf seinem Hemd konnte ich dasselbe Abzeichen und dieselben Schulterklappen entdecken, die auch Zamzow trug.
Ich drehte das Bild um. »Brian Aiker, 27.9.1998« stand handschriftlich auf der Rückseite.
»Der Beamte hieß Brian Aiker«, sagte Zamzow.
»Alter?«, fragte ich.
»Zweiunddreißig. Aiker war drei Jahre bei uns, als er verschwand. Netter Kerl.«
»Größe.«
»Langer Lulatsch. Ich würde sagen, eins dreiundachtzig, eins sechsundachtzig.«
»Er war weiß«, sagte ich und drehte das Foto wieder um.
»Ja.«
»Und die Frau?«
»Charlotte Grant Cobb. Komischer Vogel, aber eine gute Beamtin. Cobb war mehr als zehn Jahre beim FWS.«
»Haben Sie ein Foto?«
Zamzow schüttelte den Kopf. »Cobb ließ sich nicht gern fotografieren. Aber ich kann ihre Akte anfordern, wenn Sie das für nötig halten. Der Service hat von jedem Beamten ein Passfoto.«
»Cobb ist weiblich?«
»Ja. Weiß, Mitte dreißig, würde ich sagen.«
»Woran arbeitete sie?«
»Operation FDR. Meeresschildkröten.«
»FDR?«
Zamzow zuckte die Achseln. »Franklin D. Roosevelt trug gern Pullover mit Turtleneck-Kragen. Das Kürzel war nicht meine Idee. Wie auch immer, meinen Sie, dass Ihr Unbekannter Aiker oder Cobb sein könnte?«
»Cobb auf keinen Fall. Die DNS der Knochen aus Lancaster war männlich. Aber es könnte eine Verbindung geben. Arbeitete Aiker am selben Projekt wie Cobb?«
»Offiziell nicht, allerdings weiß ich, dass er sich mit ihr traf.«
»Erzählen Sie mir, was passiert ist.«
»Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Vor sechs, sieben Jahren erhielten wir einen Tipp über Wilderer, die Schildkröten von der Küste nach Charlotte schafften und sie von hier
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