Mit Haut und Haar: 6. Fall mit Tempe Brennan
starrte mich durch seine Sonnenbrille an. Ich hielt dem Blick volle fünf Sekunden lang stand und wandte mich dann ab.
Zehn Minuten.
Das Gegenüber des Frettchens war älter und mit genug Gold behängt, um Worldcom wieder auf die Beine zu helfen. Er klopfte mit dem Knöchel des Zeigefingers an Woolseys Scheibe.
»Was geht?« Seine Stimme drang nur gedämpft in das geschlossene Auto.
Woolsey und ich ignorierten ihn.
Der Junge drückte den Unterarm an Woolseys Fenster, bückte sich leicht und stützte den Kopf darauf.
»Yo, weiße Schwestern. Wollter anschaffen?«
Wenn der Junge sprach, bewegte sich nur die rechte Hälfte seines Gesichts, so als litte die linke an einer Fasziallähmung oder einer Verletzung, die die Nerven auf dieser Seite geschädigt hatte.
»Seht gut aus, Ladies. Macht’s Fenster auf, dann reden wir ’n paar Takte.«
Woolsey zeigte ihm den Finger.
Der Junge stemmte sich mit beiden Händen hoch.
Woolsey winkte ihn mit der linken Hand weg.
Der Junge trat einen Schritt zurück und starrte Woolsey mit dem Gettoblick an.
Woolsey starrte zurück.
Elf Minuten.
Der Junge stellte sich breitbeinig hin, umklammerte Woolseys Außenspiegel mit beiden Händen und wandte sich ihr zu. Eine Hälfte seines Mundes lächelte. Die Augen taten es nicht.
Ich werde nie erfahren, ob Woolsey nach ihrer Waffe oder ihrer Marke griff. In diesem Augenblick bog Slidells Taurus um die Ecke, fuhr rechts ran und kam mit einem Ruck hinter uns zum Stehen.
Obwohl die kleinen Spinner, die uns belästigten, nicht gerade Intelligenzbestien waren, erkannten sie doch ein Polizeiauto aus hundert Meter Entfernung. Als die Türen des Taurus aufgingen, rutschten die jungen Pioniere von Woolseys Motorhaube und zogen sich zurück. Nach einem letzten »Leck mich«-Blick folgte ihnen das Frettchen.
Der harte Bursche auf der Fahrerseite richtete sich auf, formte mit der rechten Hand eine Pistole und drückte damit auf Woolsey ab. Dann trommelte er mit den Handflächen ein paarmal auf die Motorhaube und schlenderte hinter seinen Kumpels her.
Als Slidell auf uns zugestürmt kam, hielten zwei Streifenwagen hinter dem Taurus. Woolsey und ich stiegen aus.
»Detective Slidell, darf ich Ihnen Detective Woolsey vorstellen?«, sagte ich.
Woolsey streckte die Hand aus. Slidell reagierte nicht.
Woolsey ließ die Hand in der Luft. Aus dem Augenwinkel heraus sah ich, wie Rinaldi aus dem Taurus ausstieg und steifbeinig auf uns zukam.
»Ist das die Kollegin, von der Sie gesprochen haben?« Slidell deutete mit dem Daumen auf Woolsey. Sein Gesicht war himbeerrot, und eine Vene auf seiner Schläfe pochte heftig.
»Beruhigen Sie sich, sonst platzt Ihnen noch ’ne Ader.«
»Meine Adern gehen Sie einen Dreck an!«
Nun richtete Slidell seinen Zorn gegen Woolsey.
»Wo kommen Sie her?«
»Lancaster.«
»Dann sind Sie hier nicht zuständig.«
»Absolut nicht.«
Das schien ihm ein wenig den Wind aus den Segeln zu nehmen. Als Rinaldi zu uns kam, gab Slidell Woolsey flüchtig die Hand. Dann schüttelten sich Rinaldi und Woolsey die Hände.
»Was wollen Sie hier?« Slidell rupfte ein Taschentuch heraus und wischte sich wie üblich das Gesicht.
»Doktor Brennan und ich haben zusammen gefrühstückt. Sie wissen schon. Kleiner Plausch. Sie hat mich gebeten, sie hierher zu bringen.«
»Das ist alles?«
»Das dürfte für den Augenblick genügen.«
»Hm.« Slidell drehte sich zu mir um. »Wo ist Tyree?«
Ich deutete auf das Haus, vor dem der Lexus stand.
»Sind Sie sicher, dass es Tyree ist?«
»Es ist Tyree. Vor ungefähr fünfzehn Minuten reingegangen.«
»Ich schicke Verstärkung zur Hintertür«, sagte Rinaldi.
Slidell nickte. Rinaldi ging zum zweiten Streifenwagen. Er unterhielt sich kurz mit dem Fahrer, dann fuhr der Wagen rückwärts bis zur nächsten Kreuzung und verschwand um die Ecke.
»Sie beide tun jetzt Folgendes.« Slidell knüllte sein Tuch zusammen und stopfte es in die Hosentasche. »Sie steigen in den Chevrolet dieser netten Detective-Dame und fahren weg von hier. Lassen Sie sich die Nägel machen. Nehmen Sie eine Yoga-Stunde. Besuchen Sie ein Kaffeekränzchen bei den Methodisten. Das ist mir egal. Aber ich will, dass jede Menge Asphalt zwischen Ihnen und dieser Straße hier liegt.«
Woolsey verschränkte die Arme, und ihre Gesichtsmuskeln waren angespannt vor Wut.
»Hören Sie, Slidell«, sagte ich. »Tut mir Leid, wenn ich Ihr empfindliches Anstandsgefühl verletzt habe. Aber Darryl Tyree ist in diesem Haus.
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