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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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überein.
    Er nickt, zum Zeichen, dass sie ihr Anliegen vorbringen soll.
    Das Mädchen ist eher unscheinbar: dünner Schal, Weste, langes blondes
Haar. »Ich wollte mit Ihnen über die E-Mail sprechen, die Sie mir vor ein paar Tagen
geschickt haben.«
    Er kann sich an keine E-Mail erinnern, er verschickt täglich so viele.
Dutzende.
    [499]  »Welche E-Mail?«, fragt er daher, während er seine Aufzeichnungen
über die Wirtschaftspolitik von Vichy beiseiteschiebt.
    »Die über mein Pferd.«
    Jetzt erinnert er sich. Natürlich: das Pferd! Sollte man ihn irgendwann
einmal auffordern, etwas von dieser Universität zu erzählen, wird er ihre E-Mail
als Beispiel nehmen, als Beispiel für den Verfall. Ihre Pferde sind ihnen wichtiger
als ihre Vorlesungen.
    »Wie war dein Name gleich wieder?«
    »Gwendolyne Koeleman«, sagt sie.
    »Gwendolyne«, wiederholt er.
    Wer nennt sein Kind Gwendolyne?
    »Alle nennen mich Gwenny«, erklärt sie. »Sie dürfen mich auch Gwenny
nennen.«
    Er schiebt noch mehr Unterlagen für seinen Vortrag beiseite.
    Die Studenten hier machen ihn zunehmend nervös. Mit ihren Wünschen, ihren
Wehwehchen, ihren Ängsten und Bitten. Vor kurzem verfolgte einer ihn fast bis zum
Bahnhof. Ein junger Mann. Mit einer verworrenen Geschichte über Pfeiffersches Drüsenfieber, wodurch
er bisher fast alle von Obersteins Veranstaltungen versäumt habe. Als würde das
Drüsenfieber Oberstein auch nur im Entferntesten interessieren.
    »Du bist als Gwendolyne Koeleman eingeschrieben, wir sind nicht verwandt
und auch keine Bekannten, ich bin dein Dozent. Bleiben wir also bei Gwendolyne.«
    »Ich will Sie nicht lange stören«, sagt sie. »Ich habe meiner Tutorin
Ihre E-Mail gezeigt, die ich unnötig verletzend [500]  finde.
Ich will Ihnen mitteilen, dass ich darum beschlossen habe, Ihre Vorlesung nicht
mehr zu besuchen.«
    Oberstein ist froh, dass sein Kollege nicht im Büro ist. Er kann sich
lebhaft vorstellen, wie Slachter seine Reaktion quittieren
würde.
    »Ich dachte, die Universität hätte Tutoren an allen Fachbereichen gestrichen.«
    »Ich habe noch eine.«
    »Dann bist du die glückliche Ausnahme.«
    Er wartet darauf, dass sie noch etwas sagt. Als nichts kommt, beugt er
sich wieder über seine Papiere.
    In dem Moment fährt sie fort: »Ich wollte Ihnen mitteilen, dass mir das
Vertrauen fehlt, Ihre Lehrveranstaltung noch länger zu besuchen. Ich wollte es Ihnen
persönlich sagen. Das erschien mir korrekter.«
    »Vertrauen?«, fragt er. »Gwendolyne, die Universität hat mich eingestellt,
um hier zu unterrichten, die Universität hat offenbar
Vertrauen zu mir. Wenn du der Universität nicht vertraust, musst du dir eine andere
suchen.«
    Er schaut auf die Uhr. In zehn Minuten beginnt seine Vorlesung.
    Gwendolyne holt einen Ausdruck aus ihrer Tasche. Sie trägt eine schwarze
Weste, an der sie nur die obersten zwei Knöpfe geschlossen hat. Darunter etwas Undefinierbares, er kann nicht erkennen, was für ein Kleidungsstück.
Jedenfalls ziemlich lila.
    Sie schiebt ihm das Blatt Papier hinüber.
    Es ist seine eigene Mail mit Kommentaren in einer mädchenhaften Handschrift, die i-Punkte sind
kleine Kringel. Die Sinnlosigkeit dieser Übung deprimiert ihn. »Was [501]  wissen Sie
von meinem Pferd?«, liest er am Rand. Und auch: »Mit welchem Recht mischen Sie sich
in meine Studienwahl ein?« Und daneben: »Wenn ich mich nicht abgemeldet hätte, hätten
Sie es nicht mal gemerkt.«
    Sie blickt ihn feindselig an.
    »Meine Tutorin steht hinter meiner Entscheidung«, sagt sie.
    Selbstbewusst sind sie, unheimlich selbstbewusst, selbständig und mündig,
doch worauf ist dieses Selbstbewusstsein gegründet? Auf Treibsand, Halbwissen, Gerüchte,
aus dem Zusammenhang gerissene Informationen, aufgehetzt von der Wahnidee, Selbstbewusstsein
sei aller Glückseligkeit Anfang.
    Er würde diese Tutorin gern einmal sprechen.
    In acht Minuten beginnt seine Vorlesung. Er nimmt einen Stift, tut, als wolle er etwas aufschreiben.
    »Wie alt bist du?«, fragt er.
    »Neunzehn Jahre und vier Monate.«
    »Und vier Monate, aha. Darf ich dir einen Rat geben? In ein paar Monaten
bin ich hier weg. Wenn ich nächstes Jahr wiederkomme, wohlgemerkt: wenn, komme ich
als Dozent für dich vermutlich nicht mehr in Frage. Es steht dir frei, deine eigene
Meinung über meine Methoden zu haben, begründete Argumente dafür hast du wahrscheinlich
nicht, aber sei’s drum. Halt es diese paar Wochen noch mit mir aus. Das erscheint
mir am besten.«
    Er versucht,

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