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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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die Kriege führen, die es auch wert sind. Man muss sparsam mit seinen Ressourcen
umgehen. Und dann ist da auch noch ihr Blick. Er könnte schwören, dass eigentlich der verächtlich ist, auf jeden Fall spöttisch.
    »Also was schlägst du vor?«, fragt er schließlich.
    Sie begleitet ihn zur Treppe. Noch bevor sie antworten kann, weiß er,
dass die Frage ein Irrtum war. Jetzt ist er in der Defensive. Er hat eingeräumt,
dass es etwas zu verhandeln gibt. Er hätte sagen müssen: »Du willst nicht mehr in
meine Vorlesung kommen? In Ordnung! Wenn du dich beschweren willst? Bitte!«
    Er hat nicht adäquat reagiert. Er muss an den Abend mit Leas SMS denken, als sie ihm schrieb, ihr Mann habe sie vergewaltigt,
und er ihr zur Antwort nur Komplimente zu ihrem Kokoseis machte. Es war ein Versuch
gewesen, sie zu trösten, aber ein sehr hilfloser Versuch.
    »Sie könnten sich zum Beispiel entschuldigen«, sagt Gwendolyne. »Sie
könnten es wiedergutmachen.«
    Sie geht mit ihm die Treppe hinunter. Erneut dieser spöttische Blick.
    »Wiedergutmachen?« Er versucht, seine Stimme [506]  höhnisch klingen zu lassen,
doch ohne Erfolg. Seiner Stimme fehlt die natürliche Autorität.
    »Sie haben die guten Umgangsformen verletzt.«
    Der Vorwurf »Umgangsformen verletzt« trifft ihn.
Ihm wird klar, dass seine Autorität bröckelt. Dass es hier keine Rolle spielt, ob
er einer der vierzig bedeutendsten Smith-Experten der Welt ist oder weiß, wann die
ersten Judentransporte aus Budapest Auschwitz erreichten. Seine früheren Leistungen
sind hier wertlos.
    Er verlässt das Gebäude. Sie geht weiter neben ihm her.
    »Ich verstehe nicht recht, was du meinst«, sagt er, während er sich Richtung
Bahnhof aufmacht.
    »Sie sind zu weit gegangen«, antwortet sie, »das meine ich. Ich lasse
mein Pferd nicht beleidigen. Und mich auch nicht. Sie könnten zum Beispiel sagen:
Vielleicht kann ich dich zu irgendwas einladen, zu einem Essen zum Beispiel, um
es wiedergutzumachen?«
    »Warum sollte ich dich zum Essen einladen,
Gwendolyne?«
    Er beschleunigt seinen Schritt.
    »Weil ich mir Ihre beleidigende Art nicht gefallen lasse. Andere Studenten
können Sie einschüchtern. Mich nicht. Und außerdem heiße ich Gwenny, Meneer Oberstein,
das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Alle nennen mich Gwenny.«
    [507]  15
    »Wo ist dein Freund?«, fragt der Satellitentelefonhändler.
    Gestern ist Wytse aus dem Sudan wiedergekommen. Jetzt liegt er in Violets
Bett. Er konnte nicht warten.
    »An seiner Arbeit«, antwortet sie.
    »Hast du ihm von uns erzählt? Du hast das mal gesagt, aber hast du es
wirklich gemacht? Weiß er von mir?«
    »Mehr oder weniger«, antwortet sie. »Er weiß, dass es nicht bei einem
Mal Sex geblieben ist, aber wie oft, habe ich ihm nicht
gesagt. Deinen Namen kennt er auch nicht.«
    Sie nimmt Meneer Bär, der auf der Nase liegt, und setzt ihn liebevoll
auf.
    »Das möchte ich nämlich auch nicht«, sagt der Satellitentelefonhändler.
»Nicht, dass ich Angst vor ihm hätte. Aber es geht einfach keinen was an, wie oft wir uns sehen und was wir zusammen machen.«
    »Er glaubt, das Feuer zwischen uns wäre so ziemlich erloschen«, sagt
sie.
    In Wahrheit reden Roland und sie über Wytses Pimmel wie über einen alten
Bekannten. Sie erzählt ihm alles, nun ja, fast alles. Und es gibt fast nichts, was
er nicht wissen möchte. Einmal hat er sogar gefragt, ob Wytse beim Sex schreit.
Vielleicht ist das krank, aber sie kann es nicht ändern. Diese Krankheit ist ihr
Leben.
    »Gleich habe ich eine Verabredung mit einer Freundin«, sagt sie. »Erzähl,
wie war’s im Sudan?«
    »Was willst du hören?«, fragt er. Er beginnt zu strahlen. »Was über die
Entwicklungshelfer oder über die Toten?«
    [508]  16
    Bei einem Gespräch von Kollegen hat Roland einmal etwas von
einem Restaurant Scarlatti aufgeschnappt, nicht teuer und doch gut. Er selbst isst
nie in Leiden, er bleibt nie länger als unbedingt nötig. Sobald seine Lehrveranstaltungen
vorbei sind, setzt er sich mit einer gewissen Erleichterung in seinen Zug nach Amsterdam.
    »Betrachte das nicht als ein Schuldeingeständnis«, hat er soeben gesagt.
»Und danach muss ich sofort nach Hause.«
    Gwendolyne antwortet nicht, blickt ihn nur wieder amüsiert und leicht
spöttisch an.
    »Weißt du, wo das Restaurant liegt?«, fragt er.
    »Nein«, sagt sie, »ich gehe in Leiden fast nie essen. Nach der Uni fahre
ich meistens zu meinem Pferd.«
    Nach dreimaligem Fragen findet er das Lokal.
    Es hat zu regnen

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