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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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sarkastisch zu klingen, doch ganz zufrieden mit sich ist
er nicht. Etwas stimmt nicht am Klang seiner Stimme. Der Ton macht die Musik. Er
ist unzufrieden mit seiner Musik.
    [502]  »Was für ein wohlmeinender Ratschlag –
und so praktisch!«
    »Ja«, erwidert Oberstein. »Zum Teil besteht Wissensvermittlung aus ganz
praktischen Ratschlägen.«
    »Mir geht’s nicht darum, was praktisch ist, sondern darum, was ich für
gerecht halte.«
    Er steht auf, steckt ein paar Unterlagen in seine Plastiktüte. »Es gibt
eine Gerechtigkeit, von der niemand was hat, Gwendolyne. Verrenn dich nicht in diese
Idee. Nicht umsonst verheißen die meisten Religionen die wahre Gerechtigkeit erst
fürs kommende Leben. Ihre weisen Männer wissen sehr gut, dass es mit der Gerechtigkeit
auf Erden nicht so weit her ist.«
    »Ich glaube aber doch, dass es so was wie
Gerechtigkeit gibt.«
    Nicht nur mündig und selbstbewusst, auch noch dickköpfig. Eine tödliche Mischung.
    »Ich muss jetzt in meine Vorlesung. Wenn du dieses Gespräch fortsetzen
möchtest, komm um halb vier zurück. Dann nehme ich mir fünf Minuten Zeit für dich,
damit wir das hier abschließen können.«
    13
    Seit gut fünfzig Jahren wohnt ihr Großvater schon in den USA , spricht aber noch immer mit stark polnischem Akzent.
Auch seine Wortwahl ist alles andere als perfekt. Will [503]  er zum Beispiel ausdrücken:
»Das musst gerade du sagen«, ruft er: look who’s speaking. Es ist eine seiner Lieblingswendungen,
obwohl Lea ihm schon zigmal gesagt hat, dass es richtig look
who’s talking heißt. Jetzt, wo er dement ist, benutzt er den falschen Ausdruck
noch öfter, vor allem in unpassenden Situationen.
    Leas Großvater sitzt mit einem Lätzchen am Tisch. Sie beugt sich über
ihn. »Du gehst bald auf die Reise«, sagt sie, »zusammen mit deinen Enkeln und mir.
Nach Europa.« Sie streichelt ihm über den kahlen Schädel.
    »Schon wieder?«, fragt er.
    Zu ihrem Mann hat sie gesagt: »Vielleicht sollten wir uns scheiden lassen.«
Um ihn zu provozieren. Zu sehen, wie er reagiert.
    Valeria hatte gemeint: »Sprich’s einfach an, so lockst du ihn aus der
Reserve. Denn wie es jetzt läuft, geht es nicht weiter.«
    Er hatte nicht abwehrend reagiert. »Ja, eine Scheidung, warum nicht.
Für die Kinder finden wir schon eine Lösung.«
    Und später im Bett hatte er ihr eröffnet,
dass er sich schon eine kleine Wohnung ausgeguckt hätte, in die er sich zurückziehen
könnte. Vielleicht sei das gut für sie beide, damit sie über ihre Sünden nachdenken
könnten.
    »Was denn für Sünden?«, hatte sie gefragt.
    »Na ja«, hatte Jason geantwortet, »wer ist schon ohne Sünde?« Am nächsten
Morgen jedoch hatte er gemeint: »Wir könnten immer noch zu einem Beziehungstherapeuten
gehen.«
    »Wohin fahren wir?«, fragt Leas Großvater.
    [504]  »Nach Europa«, antwortet sie.
    Er wendet sich ein Stück von ihr ab, als wisse er nicht mehr, wer mit
ihm spricht. »Look who’s speaking«, sagt er.
    14
    Nachdem seine Lehrveranstaltungen vorbei sind, räumt Oberstein
seinen Schreibtisch auf. Das tut er wegen Slachter, der einmal gesagt hat, dass
er im Chaos nicht arbeiten könne. Der Gast muss sich anpassen. Die Bücher, die er
für die Arbeit am Abend zu Hause braucht, steckt er in die Plastiktüte.
    Auf dem Schreibtisch findet er den Ausdruck
seiner Mail mit den Kommentaren von Gwendolyne. Er zerknüllt das Papier und will
es schon wegschmeißen, da streicht er es doch wieder glatt. Für sein Archiv. Auch
Kuriositäten sollte man aufheben.
    Er grüßt Slachter, der etwas zurückmurmelt, und verlässt das Büro.
    Auf dem Flur steht Gwendolyne.
    »Bin ich zu spät?«, fragt sie.
    »Kommt darauf an, wofür«, antwortet er.
    »Für das Gespräch. Sie wollten mir noch etwas erklären.«
    »Ich wollte dir Gelegenheit geben, einen Irrtum zu korrigieren«, sagt
er im Gehen. »Es gibt nicht viel zu erklären. Ich kann es in einem Satz sagen: Bleib
in meiner Vorlesung, in ein paar Wochen bist du mich los.«
    [505]  Gwendolyne schüttelt den Kopf. »Ich hab das mit meiner Tutorin besprochen.
Ich bin nicht im Irrtum. Sie sind zu weit gegangen. Es gibt Grenzen, und die haben
Sie überschritten. So einen verächtlichen Ton kann man nicht bringen. Und ich bin
nicht die Einzige, die so denkt.«
    Oberstein will das Gespräch beenden, dieses penetrante Gör irgendwie
loswerden, doch die Kombination »verächtlicher Ton« und »Tutorin« beunruhigt ihn.
Er kann nicht noch mehr Konflikte gebrauchen. Man darf
nur

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