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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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Völkermord gearbeitet oder den Aufstieg und Untergang
der South Sea Company?
    »Hu-hu!«, ruft Antoinette ihm hinterher. »Wird’s
spät heute Abend? Wann kommst du zurück, Roland?«
    23
    Lea ist zu Hause und sieht fern. Ihr Mann geht mit den Kindern
im Park spazieren.
    Sie müsste die Küche putzen, doch sie bleibt vor dem Fernseher sitzen.
    »Lang nichts von dir gehört«, simst sie Roland. »Wann kommst du wieder?
Wie geht’s meinem Großvater? Du fehlst mir ein bisschen.«
    [619]  24
    Er ist gut in Delft angekommen.
Das Buch hat ihn enttäuscht, aber die Fahrt selbst verlief problemlos. Jetzt hier
auf dem Bahnsteig weiß er nicht mehr, wie es weitergehen soll. Keine Ahnung, in
welcher Disco Gwendolyne sich herumtreibt. Womöglich ist sie auch bei Don Quijote
zu Hause, sitzen sie in einer mickrigen Studentenbude auf dem Sofa. Oder er wohnt
noch bei seinen Eltern, wie sie, und sie verbringen den Abend auf seinem Zimmer,
während die Eltern bei den Nachbarn Käsefondue essen.
    Noch einmal anrufen will er nicht.
    Er geht auf den Bahnhofsvorplatz. Es regnet.
    Dann fällt ihm der Bauernhof ein. Er weiß, wie er dorthin kommt, er ist
inzwischen oft genug dort gewesen.
    Er nimmt ein Taxi.
    »Richtung Naaldwijk«, sagt er. »Ich weiß die Adresse nicht mehr, aber
wenn wir erst beim Dorf angekommen sind, find ich’s schon
wieder.«
    »Was für ein Dorf?«, fragt der Taxichauffeur.
    Im Dunkeln ist der Weg schwerer zu finden,
als er gedacht hatte, doch nach ungefähr dreißig Minuten Fahren und Suchen hält
der Taxifahrer, ein freundlicher Mann und offenbar auch
Pferdeliebhaber, vor dem Bauernhof an.
    »Soll ich warten?«, fragt der Chauffeur.
    Oberstein schüttelt den Kopf.
    Wenn Leiden ihm ein anständiges Gehalt zahlen würde, könnte er sich das
leisten.
    Er geht über den Kiesweg. Irgendwo bellt ein Hund. [620]  Im Bauernhaus brennt
kein Licht mehr. Der Bauer schläft schon.
    Der Regen ist in Hagel übergegangen. Er schlägt den Kragen hoch. Das
Wetter macht ihn wieder nüchtern. Was soll das hier bringen? Aber er geht weiter.
Jetzt ist das Taxi ohnehin weg.
    Im Pferdestall brennt noch Licht.
    Er betritt die Scheune, sein Blick wandert über die Pferde.
    Oberstein geht weiter hinein in den Stall. Zwei Boxen stehen leer.
    Aus einer der Boxen kommt ein Mädchen. Sie hat einen Haarschneider in
der Hand.
    Gwendolynes Freundin. Zugleich seine Studentin. Er kommt gerade nicht
auf ihren Namen.
    »Meneer Oberstein«, sagt sie. »Was machen
Sie denn hier?«
    Sie klingt nicht wirklich überrascht. Als kämen Dozenten abends öfter hierher. Aber sie ist ihm schließlich auch tagsüber schon
hier begegnet. Vermutlich hält sie ihn für einen Pferdenarren.
    »Ich war in der Nähe und dachte, ich schau
mal vorbei.«
    Er sieht sich um.
    Wenigstens ist es hier trocken.
    »Suchen Sie was Bestimmtes?«
    »Tut mir leid, mir fällt gerade dein Name nicht ein. Ich hab so viele
Studenten.«
    »Lieke.«
    Ihm ist schwindlig. Er hat nichts zu Mittag gegessen und [621]  auch nichts
zu Abend. Er muss sich am Gitter vor einer der Boxen festhalten. Kurz schließt er
die Augen, doch sofort sieht er Don Quijote wieder vor sich.
    Diesmal sind es drei. Don Quijote hat sich vermehrt. Von allen Seiten
nehmen sie Gwendolyne jetzt. Alle drei tragen einen Eimer auf dem Kopf.
    Roland öffnet die Augen, ihm fehlt Zucker.
Meist hilft das in solchen Fällen: etwas Süßes.
    »Was machst du mit dem Haarschneider?«, fragt er.
    »Den Ladyshave meinen Sie? Damit kann man auch Pferde gut scheren, hab
ich gemerkt.«
    Einen Ladyshave müsste sich Violet auch mal zulegen. Aber sie will keinen.
Sie nimmt immer seinen Rasierer.
    Oberstein geht durch den Stall, betrachtet mit oberflächlichem Interesse die Pferde. Eins sieht für ihn aus wie
das andere.
    »Und was machst du hier am Samstagabend?«, fragt er. »Musst du nicht
in die Disco?«
    Er redet wie mit einer Studentin, die ihre Hausarbeit zu spät abgegeben
hat.
    »Samstags jobb ich bei Albert Heijn, und wenn ich da fertig bin, komme
ich her und kümmere mich um mein Pferd. Eigentlich mag der Bauer es nicht, wenn
so spät noch wer auf dem Grundstück ist, aber für mich macht er eine Ausnahme. Und
ich hab das eigentlich ganz gern, so allein mit den Pferden.«
    »Ja, jetzt ist es schön ruhig.«
    »Man kann gut seine Gedanken ordnen«, sagt sie.
    Ihm ist schlecht von dem Wein.
    »Und was machst du dann hier, an deinem [622]  Samstagabend?« Das Buch, das
er mitgebracht hat, klemmt er sich unter den

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