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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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Freund. Wir haben dieselben Interessen.«
    »Was denn für Interessen?«
    »Einfach so. Interessen eben.«
    22
    Wie jeden Samstag arbeitet er an seiner Studie über die Geschichte
der Blasen. Für Oberstein gibt es kein Wochenende, das ist eine verächtliche Erfindung für Faulenzer, doch gegen sieben tippt er Gwendolyne
kurz eine SMS . »Alles in Ordnung bei dir?«, fragt
er.
    Eine Viertelstunde darauf kommt die Antwort: »Ja, alles in Ordnung.«
    Er arbeitet weiter. Violet ist übers Wochenende bei einer Freundin im
Süden des Landes, er will die zwei Tage dazu nutzen, seine Studie ordentlich voranzubringen.
    Eine halbe Stunde darauf öffnet er eine Flasche
Rioja, ein kleines Präsent von Antoinette. »Jedes neue Mitglied in unserem Kuratorium
bekommt eine Flasche Rioja«, hat sie gesagt. »Das ist das Schöne am Vroom-&-Dreesmann-Literaturpreis,
die kleinen Extras, die Freundschaften, die man schließt,
die Kontakte.«
    Der Wein schmeckt ihm nicht, doch er leert das Glas.
    Oberstein beschließt, eine Pause zu machen. Fast drei Stunden am Stück
hat er gearbeitet. Er bleibt am Notebook sitzen, geht aber auf YouTube, sucht »›Mann
von La [616]  Mancha‹, Musical« und schaut sich den Film an, in dem Don Quijote mit
einem Eimer auf dem Kopf sentimentale Lieder singt. Die Bilder findet er womöglich noch abstoßender als die Musik.
    »Mein Gott, wie furchtbar!«, sagt er laut. Um sich von diesem Schrecken
zu erholen, schenkt er sich noch einen Rioja ein.
    »Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit«, murmelt er. »Musicals. Ein
Symptom des Verfalls.«
    Er konzentriert sich wieder auf die Textpassage, an der er gerade arbeitet,
doch Don Quijote meldet sich zurück. Er sieht ihn vor sich: jung, auf eine fast
vulgäre Art attraktiv. Fast noch ein Schuljunge. Keine andere Torheit kennt er als
den Hochmut der Jugend, die Arroganz derer, die den Tod nur vom Hörensagen kennen.
    Er hat einen großen, unbeschnittenen Schwanz. Natürlich ist Don Quijote
unbeschnitten. Und mit diesem großen, unbeschnittenen Ding bohrt er in Gwendolyne
herum. Erst in ihrer Vagina, dann in ihrem Anus, dann in ihrem Mund, und wenn er
damit fertig ist, singt er wieder seine dämlichen Lieder.
    »Oh thou bleak and unbearable world, thou art base
and debauched as can be.«
    Die Melodie geht ihm nicht aus dem Kopf. Er hätte sich den Film auf YouTube
nicht ansehen sollen, verschwendete Zeit, verplemperte Energie.
    Um sich zu sammeln, schaut er im Internet in einige Zeitungen und liest
etwas in den Economic Origins. Das tut er öfter, wenn die Konzentration sich nicht sofort einstellen will.
    [617]  Dann hämmert er noch zwei Absätze über die South Sea Company in den
Computer und trinkt dazu einen Rioja.
    Er nimmt den ekligen Geschmack des Weins nicht mehr wahr.
    Nachdem er mit den zwei Absätzen fertig ist, nimmt er sein Handy und
wählt Gwendolynes Nummer, doch sie geht nicht ran. Er schickt Violet eine SMS und tigert im Zimmer herum, während er versucht, zusammenhängende
Gedanken über Aufstieg und Fall der South Sea Company zu formulieren, doch immer
wieder sieht er den jungen Don Quijote vor sich mit seinem großen, unbeschnittenen
Schwanz. Kitschige Lieder trällern, das kann er.
    Die Flasche Rioja ist alle. Wenn der Rest von diesem Preiszirkus genauso
erbärmlich ist wie der Wein, hätte er dem Kuratorium nie beitreten dürfen.
    Noch einmal wählt er Gwendolynes Nummer, und wieder geht sie nicht ran.
    Er nimmt seinen Mantel, ein langes braunes Modell, das er einmal an einem
unproduktiven Nachmittag in Washington gekauft hat. Er
wird einmal nachsehen, was sich an einem Samstagabend westlich von Delft so alles tut.
    Bevor er geht, schaut er im Bad in den Spiegel. Wie einundvierzig sieht
er nicht aus. Mit dem jungen Don Quijote kann er es noch jederzeit aufnehmen.
    Neben dem Waschbecken in einer Vase, die seine Zimmerwirtin ihm geliehen
hat, steht ein Strauß Blumen für morgen Abend, für Gwendolynes Mutter. Ein Vierzig-Euro-Bukett.
Besser zu teuer als zu billig.
    Er schneidet sich zwei Nasenhaare ab und sieht unterdessen vor sich,
wie der junge Don Quijote Gwendolyne [618]  von hinten nimmt. »Fester, Don Quijote!«,
ruft sie. »Fester!«
    Er greift sich ein Buch, das er im Zug lesen
will. The Brand Bubble , man hat es ihm zugeschickt, er
verspricht sich nicht viel davon. Oberstein geht die Treppe hinunter. Ein geiler
Scheißkerl ist er, dieser junge Ritter. Was weiß er vom Leben? Was hat er ihr zu
bieten? Hat er etwa über den

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