Mit Haut und Haaren
Arm.
»Heute? Ich habe Herzogin gewaschen, ihr die Haare geschnitten und die
Beine rasiert. Eigentlich wollte ich ihr auch noch ein paar Zöpfchen flechten, aber das mache ich nächstes Mal. Es ist schon so
spät.«
Sie scheint zu denken, dass sie ihm Rechenschaft
schuldig ist. Er ist Dozent rund um die Uhr.
»Wer ist Herzogin?«
»Mein Pferd«, antwortet das Mädchen.
»Was für seltsame Namen eure Pferde haben!«
»Ich finde den Namen schön. Im Pferdesport
sind solche Namen ganz üblich.«
Er schaut auf Liekes Stiefel. »Pferdesport«, »Sport« – von wegen! Reine
Dekadenz.
»Wo sind sie?«, fragt Oberstein.
»Wer?«
»Du weißt genau, wen ich meine. Gwendolyne und Don Quijote.«
Sie lacht. »Nein, weiß ich nicht – wovon
reden Sie überhaupt?«
Wieder hält er sich am Metallgitter fest, er holt tief Luft.
»Wo sind Gwendolyne und Don Quijote, Lieke?«
»Keine Ahnung. Gwendolyne geht in Kneipen, die mir nicht so liegen.«
Er hört sich schwer atmen. Als sei seine Nase verstopft.
»Es ist Samstagabend. Das ist doch ihr Abend. Der Abend von Don Quijote
und Gwenny?«
»Wovon reden Sie, Meneer Oberstein?«
Meneer Oberstein. Zwei Worte wie Keulenschläge.
[623] »Na los, Lieke – Don Quijote, der Name
sagt dir doch was?«
»Natürlich sagt er mir was, aber ich hab ihn seit Wochen nicht mehr gesehen.«
Sie gluckst. Als sei er ein Komiker mit ein paar guten Späßen auf Lager.
Ein Komiker, der endlich in Fahrt kommt.
»Schon seit Wochen nicht mehr gesehen? Bist ihm auch nicht zufällig begegnet?
Nicht mal hier bei den Pferden? Du hast die zwei nie an einem Samstagabend erwischt?«
»Nein, Meneer Oberstein. Ich erwische nie wen.«
Immer noch hält sie den Ladyshave in der Hand.
Er schaut nach oben zum Dachstuhl. In der Hosentasche sucht er ein Taschentuch,
doch ohne Erfolg.
»Lieke, warum hast du dich für Jura entschieden?«
»Ich dachte, das ist ein interessantes Studium, und man hat auch gute
Berufsaussichten.«
Sie antwortet wie in einer Prüfung oder als seien sie sich gerade in
der Straßenbahn begegnet und führten nun ein etwas gezwungenes, aber doch nicht
unangenehmes Gespräch.
»Gute Berufsaussichten.« Sein Blick geht immer noch nach oben. Die einzigen
Aussichten, die den jungen Don Quijote interessieren, sind die auf eine Möse. Daran
denkt er bestimmt jeden Tag, wenn er wach wird und sich seinen dämlichen Eimer auf
den Kopf setzt.
»Lieke«, sagt er und schaut sie jetzt an. »Ich bin Ökonom. Sie haben
mich als Verstärkung ans Institut für Fiskal- und Finanzwissenschaften geholt. Weil Mevrouw Vermaes schwanger ist. Ich bin nur
vorübergehend hier. Mevrouw Vermaes kommt zurück. Bald gehe ich wieder [624] an die
George Mason. Dort arbeite ich wirklich. Leute, die nichts von Wirtschaft verstehen, fragen mich oft: Was
ist Ökonomie? Und dann denken sie, ich könnte ihnen das in einem Satz erklären.
Zu den Leuten sage ich immer nur eins: Mangel. Darum dreht sich alles. Denn was
hat der Mangel zur Folge? Angebot und Nachfrage, Gewerbe und Handel. Man muss es
als Spiel sehen, Lieke. Handeln ist spielen. Ich bin gekommen, um mit dir zu verhandeln.«
Er schaut ihr direkt ins Gesicht.
Sie trägt ihre Reitkleidung und darüber ein leichtes Jackett, das auch
ein Herrenmodell sein könnte. Halblanges blondes Haar, etwas strähniger als das
von Gwendolyne. Eine Stupsnase.
»Wollen wir einen Handel abschließen, Lieke? Irgendwas musst du am Samstagabend
doch machen?«
Sie lacht etwas dümmlich. Ihm schießt ein Bild durch den Kopf, wie sie
sich mit dem Ladyshave die Beine rasiert, demselben Gerät, mit dem sie eben noch
ihr Pferd geschoren hat. Erst ihr Pferd. Dann ihre Beine.
»Es war Gwennys Idee, Meneer Oberstein.«
Wieder der Keulenschlag auf seinem Kopf. »Was war Gwennys Idee?«
»Ich war eigentlich dagegen«, sagt sie. »Ich fand es blöd. Und außerdem
fand ich Sie ganz nett.«
»Wogegen warst du?«
»Na, gegen die Wette. Die von Gwenny und mir. Ich hatte nicht gedacht,
dass sie das alles so ernst nehmen würde. Gwenny will immer gewinnen. Sie ist superehrgeizig.
Vor allem beim Reiten. Und bei Männern. Manchmal nervt das ganz schön.«
[625] »Was für eine Wette?«
»Soll ich Ihnen das wirklich erzählen?«
»Ja, erzähl.« Er mustert die Bluse, die sie unter dem Jackett trägt.
»Wollen Sie echt alles wissen? Sie wissen es doch schon, oder? Sie sind
doch nicht blöd.« Sie lacht.
Der Rioja pocht wieder in seinem Kopf. »Natürlich weiß ich
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