Mit Haut und Haaren
zählt.
Beim Nachtisch sagt Gwendolyne: »Sie sind
schön.«
Er glaubt, sich verhört zu haben. »Was bin ich?«
»Schön«, sagt sie.
Er bestellt einen Espresso. Gwendolyne möchte nichts mehr, auch keinen
Tee.
Sie sagt: »Ich bin nicht so gut im Komplimente-Entgegennehmen.«
[607] »Ich offenbar auch nicht.«
»Sie zu machen ist leichter.«
»Da hast du recht«, stimmt er ihr zu.
Sie gehen auf ihr Zimmer. Es gibt einen Fahrstuhl, aber sie nehmen lieber
die Treppe.
Oberstein holt die Bücher, etwas Kleidung und Gwendolynes Peitsche aus
seinem Koffer.
Auch das Notebook holt er aus seiner Computertasche.
»Dieses Buch« – er hält 1940–1945. Années érotiques:
Vichy ou les infortunes de la vertu in die Höhe – »ist ausgezeichnet, ich
kann es dir nur empfehlen. In dem Vortrag, den ich heute Nachmittag hätte halten
sollen, habe ich ausführlich daraus zitiert. Nun ja, ich werde ihn schon irgendwo
noch mal veröffentlichen.«
»Tut es Ihnen leid?«
Er schüttelt den Kopf.
»Magst du Musik?«, fragt er. »Ich meine: richtige Musik. Pergolesi zum
Beispiel?«
»Natürlich.«
Er klappt das Notebook auf.
Neben dem Bett stehend, lauscht er der Musik.
»Auf deiner linken Pobacke ist ein Muttermal«, sagt er.
»Ich weiß. – Aber Musicals sind doch auch
Musik?«
Die Peitsche riecht noch stärker nach Stall als in Lyon.
»Schön bist du, finde ich«, sagt er. »Und
lieb.«
[608] 16
Am Morgen im Speisesaal gibt es ein großes Buffet, doch Gwenny nimmt nur einen Obstsalat. Zu Hause isst
sie meist nur etwas Obst mit Joghurt zum Frühstück, ganz selten dazu eine Scheibe
Weizenvollkornbrot mit altem Gouda.
Sie sitzen am selben Tisch wie am Abend zuvor.
Oberstein isst ein Croissant.
»Unser Flugzeug geht um halb vier«, sagt er. »Gegen fünf sind wir in
Amsterdam. Holt dich jemand ab?«
»Nein«, sagt sie. »Ich muss mit dem Zug nach
Hause.«
»Ich würde dir gern was Warmes zum Anziehen kaufen.« Er zeigt auf ihre
nackten Beine.
»Das ist sehr nett, aber ich kaufe mir meine
Kleidung lieber selbst.«
Er wirkt enttäuscht.
»Ich geh mir noch etwas holen, soll ich dir
was mitbringen?«
Sie schüttelt den Kopf.
Oberstein kommt mit einem Glas Grapefruitsaft zurück.
Er setzt sich und trinkt das Glas in einem Zug aus. Dann wischt er sich sorgfältig
den Mund mit einer Serviette ab.
»Am Samstagabend triffst du dich also immer
mit Don Quijote?«, fragt er.
»Das hab ich nicht gesagt. Sie müssen mich richtig zitieren. Ich treffe mich mit einem Jungen, der Don Quijote gespielt hat, aber
das ist schon wieder vorbei, das Don-Quijote-Spielen, und wir sehen uns auch nicht
jeden Samstag.«
[609] »Don Quijote«, murmelt er. »Und dann geht ihr zusammen ins Bett?«
»Nur wenn wir uns nichts mehr zu sagen haben. Er ist einfach ein guter
Freund, und manchmal haben wir auch Sex. Sind Sie eifersüchtig?«
»Eifersüchtig? Ach was, Eifersucht ist eine schlechte Investition, Eifersucht
ist Verschwendung, Kapitalvernichtung.«
Sie isst den restlichen Obstsalat auf, doch ohne die Bananenstückchen.
Sie mag keine Bananen.
»Du wirkst so besorgt«, sagt er.
»Blondie ist krank, ziemlich krank sogar. Gestern sollte der Tierarzt
kommen, aber ich hab nichts mehr gehört.«
»Warum rufst du nicht selbst an?«
»Ich fahr heut Abend auf den Bauernhof und seh nach ihr.«
Den Rest des Vormittags spazieren sie am See entlang, trinken Tee und
betrachten die Berge.
Gwenny ist kalt, aber sie lässt sich nichts anmerken.
»Gleich müssen wir los«, sagt Oberstein nach einem leichten Lunch. »Willst
du mich noch etwas fragen?«
»Nein«, sagt Gwendolyne. »Eigentlich nicht.«
[610] 17
»Wie war dein Vortrag?«, fragt Violet Roland in einem Pfannkuchenrestaurant
in Amsterdam.
Sie fand es romantisch, ihn zu seiner Rückkehr zu einem Pfannkuchen einzuladen.
» Comme çi, comme ça. Schon bessere Vorträge gehalten.«
18
Als Gwenny sich dem Stall nähert und ihr Pferd nicht wiehern
hört, beginnt sie, sich ernsthaft zu sorgen.
Sie klingelt beim Bauern. Er kommt aus dem Haus. »Wir essen gerade«,
sagt er.
»Wo ist Blondie?«
Mit dem Taschentuch wischt er sich den Mund ab. Er hat eigentlich kein
hartes Gesicht, auch wenn es durch die tiefen Furchen so wirkt.
»Beim Metzger. Wenn du dir morgen irgendwo ’n Hamburger holst, erwischst
du sie vielleicht noch.«
Gwenny will weglaufen, doch der Bauer hält sie zurück.
»Der Tierarzt meinte, es wär nichts mehr zu machen. Wir kamen zu spät.
Es war eine
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