Mit Haut und Haaren
liegengeblieben
war.
Der Verlust ärgert ihn, es war kein gutes Buch, aber trotzdem. Das warme
Wasser tut ihm gut. Der Gestank des Bauernhofs ist ihm bis in die letzte Pore gedrungen.
In seine Kleidung, den Mantel, die Haare.
Er hat keine Ahnung, wie spät es ist, doch das Wasser belebt ihn.
Es wird an die Tür geklopft.
»Roland!«
Er hört Antoinettes leicht affektierte Stimme.
»Seit fast einer Stunde stehst du unter der Dusche. Weißt du, wie spät es ist? So
kann ich nicht schlafen.«
Er wird wütend. Will sie ihm jetzt auch noch vorschreiben, wann er unter
der Dusche zu stehen hat? Nicht nur malträtiert sie ihn mit ungenießbarem Wein,
sie will auch noch darüber entscheiden, wann er duschen darf und wann nicht.
Er steigt aus der Wanne und öffnet die Tür,
ohne sich ein Handtuch um die Hüften zu binden.
»Wenn du willst, darfst du zugucken!«, hatte er sagen wollen, oder besser
noch: brüllen.
Doch jetzt, wo er vor ihr steht, ganz ohne Handtuch, bringt er kein Wort
mehr heraus.
Sie weicht zurück.
Er schmeißt die Tür zu.
[639] Sie sagt etwas. Doch er versteht kein Wort.
Sie klopft an die Tür. Er ignoriert es.
Vor dem Spiegel betrachtet er sein Geschlecht: fremd, wie ein Reptil
aus dem Zoo.
27
Den ganzen Nachmittag hat Gwenny in der Küche gestanden. Normalerweise
kocht sie nur für sich selbst, sie ist die einzige Vegetarierin in der Familie,
doch aus Anlass des hohen Besuchs haben die anderen beschlossen, ihr Gericht einmal
mitzuessen.
Das Rezept stammt aus den 1001 Ideen, dem Gratismagazin
ihres Supermarkts. Ein Auflauf mit Reis, Kartoffeln und
Gemüse. Sie hat das Rezept noch nie ausprobiert.
Für sich allein isst sie meist nichts Besonderes. Ein Spiegelei. Suppe.
Oder einfach nur ein belegtes Brot.
28
Den Sonntag beginnt Roland mit konzentrierter Arbeit an seinem
Buch, er muss nicht mehr an Don Quijote denken, nur noch an die South Sea Company.
Um halb drei geht [640] er ins Bad und macht sich an eine sorgfältige Rasur. Antoinette
ist bei Freunden zum Bridge eingeladen. Er kann ungestört duschen.
Er benutzt großzügig Aftershave.
Dann zieht er einen seiner wenigen Anzüge an, doch ohne Krawatte, das
fände er übertrieben.
Er fragt sich, worüber er mit einem Gartenmöbelgroßhändler reden soll,
aber wenn nötig, lässt sich zweifellos auch über diese Gerätschaften ein faszinierendes Gespräch führen.
Im Bad nimmt er die Blumen aus der Vase, sie wirken noch frisch.
Er fährt mit dem Zug nach Den Haag Hollands Spoor und von dort mit dem
Bus weiter nach Naaldwijk.
In Naaldwijk muss er zweimal nach dem Weg fragen. Vom Zentrum bis zu
Gwendolynes Straße, De Zijpe Nummer 4, sind es ungefähr zehn Minuten zu laufen.
In dieser Straße stehen ausschließlich Reihenhäuser. Neubauten, offenbar erst kürzlich fertiggestellt. Kein Mensch ist auf der
Straße zu sehen. Irgendwo hört er einen Hund.
Obwohl es kalt ist, hat er Schweiß unter den Achseln. Zum Glück trägt
er ein Jackett. Niemand wird seine Schweißflecken sehen.
Er klingelt.
Die Mutter öffnet die Tür. Sie ist jünger,
als er gedacht hatte, eine agile Frau mit kurzem Haar. Sie sieht Gwendolyne nicht
ähnlich.
Er tritt ein und überreicht ihr die Blumen mit den Worten: »Ich hab Ihnen
eine Kleinigkeit mitgebracht.«
»Gwenny ist noch oben unter der Dusche«, sagt sie. »Sie [641] hat den ganzen
Nachmittag in der Küche gestanden. Sie kommt gleich herunter.«
Sie führt ihn ins Wohnzimmer.
Unsicherheit überkommt ihn. Panik. Eine Affäre
mit einer Studentin ist eins, ihre Eltern zu besuchen etwas anderes. Außerdem ist
es keine Affäre, wie er angenommen hatte. Es ist eine
Wette.
Im Wohnzimmer sitzen Gwendolynes Vater und ihre drei Brüder.
Außer einem Sofa, ein paar Sesseln und einem Couchtisch sieht Roland
drei Uhren, die versetzt zueinander und obendrein unregelmäßig ticken. Der Esstisch
trennt das Wohnzimmer von der offenen Küche.
Die vier Männer sind aufgestanden, um Oberstein zu begrüßen. Viermal
stellt er sich gleichlautend vor: »Roland Oberstein, sehr erfreut, Sie kennenzulernen.«
Gwendolynes Vater hat etwas Jungenhaftes.
Vermutlich ist er älter als Oberstein, sieht aber aus wie vierzig. Ein sportlicher
Typ.
Alle setzen sich wieder, bis auf Oberstein und Gwendolynes Mutter.
Oberstein lauscht dem Ticken der Uhren.
Keiner sagt etwas. Zu guter Letzt nimmt Oberstein in einem Sessel Platz.
Der Fernseher ist an, der Ton abgeschaltet. Ein Großbildschirm.
Als er endlich sitzt, fragt
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