Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
Vom Netzwerk:
schon. Unbefriedigend. Irgendwann
will sie darum ihre eigenen Taschen kreieren. Unter eigenem Namen. Um das nagende
Gefühl mangelnder Anerkennung zum Schweigen zu bringen.
    Es ist Wytse. Sie zögert.
    Sie arbeitet lange genug in der Firma, um großzügig mit den Vorschriften umgehen zu können.
    Violet steht auf und verlässt den Raum. Vor den Fahrstühlen bleibt sie
stehen.
    Sie trägt goldfarbene Schuhe. Sie findet,
wer Mode entwirft, sollte auch ein wenig so aussehen.
Auch wenn die Kunden einen nie zu Gesicht bekommen, es steigert das Selbstwertgefühl.
    Sie starrt auf die Fahrstuhltüren. »Ich dachte, ich ruf kurz mal an«,
sagt Wytse.
    »Ich bin an der Arbeit«, antwortet Violet.
    Als er am Samstagmorgen gegangen war – er musste einem Freund beim Umziehen
helfen –, hatte sie erst einmal geduscht. Sie war erleichtert gewesen. So, das hätten [78]  wir. Wie man sich fühlt, wenn man die ganze Wohnung geputzt hat, nachdem man
es wochenlang vor sich hergeschoben hat.
    Sie hatte das Bett abgezogen, Spannbettlaken, Bett- und Kissenbezüge,
und alles in die Waschmaschine gestopft. Dann hatte Niedergeschlagenheit
sie übermannt, stärker als alles, was sie jemals erlebt oder wovon sie gelesen hatte.
Leichte Panik erfasste sie. Sie rief eine Freundin an und sagte: »Du errätst nie,
was heute Nacht passiert ist.«
    »Wie geht’s?«, fragt Wytse.
    »Gut«, sagt Violet, »aber ich bin an der Arbeit.«
    Wytse ist kahlköpfig und handelt mit Satellitentelefonen.
Wie er Violet erklärt hat, hat er keine Vollglatze, sondern rasiert sich den Kopf,
weil ratzekahl besser aussieht als fast kahl. Er rasiert sich alle zwei Tage unter
der Dusche. Violet fand das lustig und musste laut lachen. Eine schöne Glatze hat
schließlich auch was.
    »Und was machst du beruflich?«, hatte sie ihn gefragt.
    »Ich handle mit Satellitentelefonen«, hatte Wytse geantwortet. »Schon
heute bin ich Marktführer in den Niederlanden, und ich will Marktführer in Europa
werden.«
    Wenn sie an ihn denkt, sieht sie ihn unter der Dusche, einen Rasierer
in der Hand, mit dem er behutsam, doch routiniert seine Kopfhaut entlangfährt.
    Die Fahrstuhltüren gehen auf. Zwei Männer im Anzug starren sie an.
    Sie schüttelt den Kopf. Sie will nicht mitfahren.
    »Ich bin auch an der Arbeit«, sagt Wytse. »Wollen wir uns noch mal treffen?«
    Die Fahrstuhltüren schließen sich wieder.
    [79]  Mit einem Anruf hat sie nicht gerechnet. Zwar hat sie gedacht, dass
er sich noch mal melden würde, doch eher per SMS .
Und nicht so schnell. Erst nach einer Woche oder zehn Tagen. Anrufen ist aufdringlich.
    »Mal sehen«, sagt Violet. Es klingt, als blättere sie in ihrem Terminkalender.
    »Vielleicht könnten wir zusammen ins Kino«, schlägt Wytse vor, »oder
Kaffee trinken. Oder beides. Kino und Kaffee. Oder Kino und Wein. Oder Kino, Kaffee und Wein.«
    »Ich weiß nicht«, sagt Violet. »Ich hab so
viel zu tun.«
    Normalerweise ist sie direkt. Sie sieht sich als eine Frau, die weiß,
was sie will. Ihre Freundinnen können das bestätigen.
    »Ich hab doch gesagt, dass ich einen Freund
habe.«
    Der Fahrstuhl öffnet sich wieder. Das hatte
sie tatsächlich gesagt. Morgens, gleich nach dem Aufstehen. Erst hatte sie gefragt:
»Hast du eigentlich eine Freundin?«, und als er den Kopf schüttelte, hinzugefügt:
»Ich hab einen Freund, nur dass du’s weißt.«
    Die Frau des Chefs kommt aus dem Fahrstuhl. Sie hat etwas zum Lunch eingekauft. Das tut sie manchmal, wenn sie gute Laune hat. Dann besorgt
sie etwas Besonderes. Kabeljaunuggets zum Beispiel. Oder Aal. Manchmal Prosciutto,
dann wieder was Fleischloses. Zwei Kollegen sind Vegetarier.
    »Hallo«, sagt Violet zu ihrer Chefin, die
sie nur zerstreut anblickt und weitergeht, als herrsche bei den Fahrstühlen ein
übler Geruch.
    »Kannst du mich nicht hören?«, fragt Wytse.
    »Doch, da kam grad wer vorbei.«
    [80]  »Ach so – ja, das hast du gesagt, aber das macht mir nichts aus. Ich
hab kein Problem damit. Du? Es bringt niemanden um. Oder? Treffen wir uns doch noch mal. Es war doch so schön?«
    Sie kann sich vorstellen, dass er im selben Ton Satellitentelefone verkauft: freundlich, aber zielstrebig. Violet muss an seinen Kopf
denken. So ein kahler Schädel fühlt sich gut an.
    »Es wird mir zu kompliziert«, sagt sie leise, um zu verhindern, dass
andere mithören. »Ich mag keine Komplikationen. Es ging eigentlich nicht so sehr
um dich. Tut mir leid, wenn das jetzt etwas hart klingt. Aber ich will dich nicht
in

Weitere Kostenlose Bücher