Mit Haut und Haaren
aber keinen von ihnen würde er als Freund
bezeichnen.
»Welchem Wirtschaftswissenschaftler?«
»Dem, den ich in Frankfurt kennengelernt habe.«
»Ach, natürlich.« Er lächelt. » Der Wirtschaftswissenschaftler!«
Er schaut seine Frau an. Sie tut, was sie kann. Das muss man zugeben,
sie gibt sich Mühe.
»Lad diesen Wirtschaftswissenschaftler doch mal zum Essen ein«, sagt er. »Wenn du denkst, das
wird nett.«
Sie schaut anders als sonst. Kecker. Herausfordernder.
»Du hast doch kein Verhältnis mit ihm?«
Brooklyn ist die viertgrößte Stadt der USA ,
das vergessen die Leute. Er hat eine repräsentative Funktion, und dazu gehört, dass
man offen auf die Leute zugeht. Sie sehen ihn und werden
ein bisschen verlegen, denn er ist nun mal Mr. Brooklyn. Er ist, obwohl er gar keinen
Wert darauf legt, eine Autorität.
Ein herzlicher Umgang mit den Bürgern ist wichtig. Einem Mann auf die
Schulter klopfen, einem Kind in die Wange kneifen. Früher war er zurückhaltender,
steifer, zum Beispiel älteren Frauen gegenüber, doch er hat gemerkt, dass die es
eigentlich auch angenehm finden, wenn ihre [204] Begegnung
mit ihm aus mehr besteht als bloß einem Händedruck und ein paar freundlichen Worten.
Der moderne Wähler weiß körperliche Nähe zu schätzen.
»Nein, natürlich hab ich kein Verhältnis mit ihm«, sagt Lea und schaut
nicht mehr frech, eher niedergeschlagen.
Er darf nicht so argwöhnisch sein. Früher ist er das nie gewesen. Es
liegt nicht in seiner Natur. Seine Arbeit frisst Zeit, und Argwohn frisst Energie.
Das ist mehr was für Arbeitslose.
Wie auch immer, auch in der Ehe ist Herzlichkeit ein entscheidender Punkt.
Deine Freunde sind meine Freunde. So eine Einstellung hält die Ehe lebendig.
Er hat eine tolle Frau, eine liebe. Als sie mit ihrem ersten Kind schwanger
war, bekam sie plötzlich Depressionen, was er merkwürdig fand, denn er hatte immer
gedacht, dass die erst nach der Geburt kommen. Doch bei ihr nicht, bei ihr kamen
sie vorher. Na ja, es hat sich ja alles schnell wieder eingependelt.
»Das würde ich dir auch verbieten«, antwortet Jason. »Eine außereheliche
Beziehung! Das könnte ich nicht dulden. Es wäre schlecht für meine Karriere. Und
für die Kinder eine glatte Katastrophe.«
Ein Bekannter, ebenfalls Politiker, der sich in eine Wahlkampfmitarbeiterin
verliebte, hatte Jason geraten: »Geh fremd, aber halt darüber den Mund. Eine Scheidung
ist schlecht für die Karriere. Wenn du erst mal getrennt bist, sehen die Wähler
in dir nie mehr den Politiker, nur noch den geschiedenen Mann.«
Doch Lea ist keine Politikerin, sie muss aus einer Affäre kein Geheimnis machen.
[205] »Findest du mich eigentlich schön?«, fragt seine Frau.
Sie steht in der Küche, die Teller und das Besteck müssen in den Geschirrspüler
geräumt werden. Er versteht nicht, worauf sie noch wartet. Sie hält das Mobiltelefon
in der Hand, als wolle sie schon wieder telefonieren.
Er fühlt sich von der Frage überrumpelt. Schön. Er ist mit ihr verheiratet.
Zwei Kinder, Karriere. Blumen, Geschenke und Reisen. Begegnungen mit Prominenten.
Dank ihm hat sie vor ein paar Jahren Edward Kennedy die Hand schütteln dürfen. Okay,
Kennedy hat nicht viel zu ihr gesagt, aber das lag auch an ihr. Sie hätte sich bemühen
können, mit ihm ins Gespräch zu kommen, doch sie brachte es nicht fertig, sie war
natürlich nervös. Wenn sie zu offiziellen Anlässen eins
der Abendkleider trägt, die er für sie gekauft hat –
auf Kosten der Steuerzahler von Brooklyn, sollte er eigentlich sagen, aber das braucht
sie nicht zu wissen –, ruft er immer: »Baby, du siehst
wieder toll aus!«
»Ja«, sagt Jason darum. »Du bist schön.«
»Noch genauso wie damals, als du mich auf der Universität kennengelernt
hast?«
»Natürlich«, sagt er. »Und du hast schöne Kinder bekommen. Wir haben schöne Kinder bekommen. Und jetzt gehen wir schlafen.«
Er will schon ins Bad gehen, doch auf einmal überlegt er es sich anders.
Leas Frage bringt ihn ins Grübeln. Sie zweifelt, ist sich nicht mehr so sicher,
ob sie ihm gefällt.
»Vielleicht sollten wir mehr zusammen unternehmen«, sagt er.
Ihm fällt wieder ein, dass sie sich darüber beschwert hat, dass er sich
nicht für ihre Arbeit interessiert.
[206] »Wie meinst du das?«, fragt sie.
Sie steht regungslos in der Küche. Wie versteinert.
»Früher«, sagt er, »habe ich immer gelesen, was du geschrieben hast und
was dich beschäftigte, aber jetzt habe ich andere
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