Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
Vom Netzwerk:
»Wissen Sie, Oberstein, manche Kollegen hier am Center hoffen immer noch auf den Nobelpreis.«
    Und dann trumpfte Weinert auf: »Wissen Sie,
worauf ich hoffe? Dass ich irgendwann wieder in meine
Anzüge von 2000 und 2001 hineinpasse. Darum mache ich diese Broccoli-Diät.«
    »Das ist gesund«, hatte Oberstein leichthin erwidert, doch war er auch
beunruhigt durch Weinerts Enthüllung.
    »Wundern Sie sich also nicht, wenn ich zu den gemeinsamen Lunchtreffen nicht mitkomme«, hatte der andere hinzugefügt. »Außerdem
habe ich in Fachzeitschriften zu oft Veröffentlichungen von Kollegen
rezensiert, und das hat man mir übelgenommen. Dabei war ich noch milde, denn es
bleiben Kollegen. Ich finde, Animositäten sollte man
in einer Fachzeitschrift austragen, nicht beim Lunch,
darum werden Sie mich dort nicht finden. Gehen Sie selber
ruhig hin. Und wenn Sie sich einsam fühlen oder Fragen haben, kommen Sie zu mir.«
    Nach ein paar Wochen am Center machte Oberstein von diesem Angebot Gebrauch.
    An der George Mason kamen die Studenten herein, er hielt seine Vorlesung,
und sie verließen den Raum wieder. In Rotterdam wechselte man ab und zu noch ein
persönliches Wort – nicht, dass er mit den Studenten fraternisiert hätte, aber nach
einiger Zeit war manchmal doch so etwas wie ein freundschaftlicher
Umgang entstanden, eine gewisse Vertrautheit. Hier nicht. Man kam, hörte zu, und
man ging. Er fragte sich, ob er etwas falsch machte.
    [216]  »Wie ist das hier mit den Studenten?«, hatte er Weinert gefragt. »Wie
geht ihr mit ihnen um, als was seht ihr sie?«
    Weinert hatte Oberstein die Hand auf die Schulter gelegt und gesagt:
»Wir hier am Center sehen keine Studenten. Wir sehen nur Ideen.«
    11
    An der Arbeit herrscht Hochdruck. Die Taschenentwürfe für den
Herbst nächsten Jahres müssen nach China geschickt werden, sonst werden sie dort
nicht mehr rechtzeitig fertig.
    Wie gewohnt hat Violet ihre Entwürfe längst vor der Zeit abgegeben, doch
eine Kollegin, die in den letzten Wochen Burn-out-Probleme hatte, ist jeden Tag
brav ins Büro gekommen, hat aber wenig zustande gebracht, und jetzt muss Violet
dafür sorgen, dass auch diese Entwürfe noch termingerecht nach China abgehen.
    Violet hilft Kollegen gern aus der Patsche,
aber hätte diese Kollegin nicht etwas früher ihre Burn-out-Probleme ansprechen können,
statt wie ein Sack Kartoffeln all die Wochen unproduktiv
an ihrem Schreibtisch herumzuhängen? Es macht ihr nichts aus, abends drei, vier
Stunden länger zu arbeiten, sie hat keine Familie und auch keine Haustiere (wenn
sie auch gern eine Katze hätte), doch heute Abend ist sie mit Wytse verabredet.
Sie wollte sich noch einmal mit ihm treffen, um ihm die
Situation zu erklären. Man kann ja [217]  mit Leuten nicht intim werden und sie dann
einfach ignorieren. Intimität hat Konsequenzen, und sei es nur die, dem anderen
zu erklären, warum keine weiteren Intimitäten stattfinden,
warum das Aufflammen der Gefühle ein Intermezzo war und
etwas Einmaliges bleiben wird.
    Ihr Fahrrad ist in Reparatur, wodurch sie noch früher aus dem Büro muss,
um pünktlich zu ihrer Verabredung zu kommen.
    Sie muss an die erste Begegnung mit Roland denken. Ihr Freund hatte seine
Studienabschlussparty gegeben. Exfreund vielmehr, aber das klingt so offiziell. »Früherer Freund« klingt schon besser, einfach nur
»Ex« vielleicht noch am besten. Viel war zwischen ihnen eh nicht mehr gelaufen.
Eigentlich war die WG -Wohnung, wo das Fest ihres Freunds
stattfand, für all die Gäste zu klein. Schon ein paarmal hatte sie sich gefragt,
wer dieser Mann war, der mit seiner Zeitung unter dem Arm in der Ecke herumstand,
bis ihr einfiel, dass es der Diplombetreuer ihres Freunds
sein musste, und weil sie hier doch ein wenig die Rolle der Gastgeberin spielte,
hatte sie sich verpflichtet gefühlt, zu ihm hinüberzugehen.
»Ich verstehe nichts von Wirtschaft«, hatte sie strahlend
zu ihm gesagt, »aber ich habe gehört, dass Sie meinen Freund gut betreut haben.«
    Sie lächelt oft, wenn sie auf Leute zugeht,
mit einem freundlichen Lächeln erreicht man mehr.
    Auch die Chinesen, die zu Besprechungen wegen der Taschen nach Amsterdam
kommen, lächelt sie immer an, obwohl die selten zurücklächeln. Sie kann sich nicht
vorstellen, mit einem Chinesen ins Bett zu gehen.
    Ihr Kompliment hatte Roland Oberstein ignoriert, bloß [218]  geantwortet:
»Warum verstehst du nichts von Wirtschaft?« Mit einem
leisen Zucken um die Mundwinkel. – »Weil es

Weitere Kostenlose Bücher