Mit Haut und Haaren
schlägt sie vor.
»Das hat Jonathan letztes Mal so viel Spaß gemacht. Weißt du noch? Und der Teig
ist im Nu fertig.«
»Ja, in Ordnung, machen wir Pfannkuchen.«
Sylvie will das Gespräch beenden, doch da fällt ihr ein, dass sie für
Pfannkuchen gar nichts im Haus hat. »Könntest du Teigmix mitbringen und vielleicht
etwas Puderzucker? Wenn das nicht zu viel verlangt ist?«
[227] Violet sagt, das sei kein Problem, aber jetzt müsse sie wirklich Schluss
machen, weil sie sich gerade mit wem unterhalte und ihn nicht so lange warten lassen
könne.
Sylvie geht wieder ins Unterrichtszimmer zurück und schaut Meneer van
Neste zu, wie er in die Hände klatscht.
Jetzt ist sie beruhigt.
13
Vom Center for the Study of Public Choice bis zu dem Gebäude,
wo Roland dienstags morgens seine Vorlesung hält, ist es eine knappe Viertelstunde
zu Fuß. Ein Spaziergang, um den auch seine Kollegen nicht herumkommen. Für sie ist
Spazierengehen eine Ergänzung zum Sportstudio. Von Sportstudios hält Roland Oberstein
nichts.
In den ersten Monaten an seiner neuen Stelle versuchte er, immer schon
fünf oder zehn Minuten vor Beginn seiner Veranstaltung anwesend zu sein, doch weil
die Studenten immer erst in letzter Minute zur Vorlesung kommen und auch keiner
seiner Kollegen je früher erscheint, hat er damit aufgehört. Punkt elf betritt er
den Hörsaal, und zehn Sekunden später beginnt die Vorlesung. Bei Regen zwanzig Sekunden
später; das Zusammenklappen eines nassen Regenschirms kostet Zeit.
Die Gewohnheit, während der Seminare eine Anwesenheitsliste zu führen,
hat er auch abgelegt. »Wichtig ist, dass die Eltern die Studiengebühren bezahlen,
dass die [228] Studenten ihre Arbeiten rechtzeitig abliefern und ihre Prüfungen bestehen,
der Rest hat uns nicht zu interessieren«, hat Bergstrom einmal zu ihm gesagt.
Er hat sich nie als jemanden mit Schulmeistermethoden betrachtet, doch
an der George Mason University wurde er eines Besseren belehrt.
Er betritt den Vorlesungsraum, nimmt die Bücher aus seiner Plastiktüte
und wirft einen Blick in die Runde.
Ungefähr drei Viertel der Studenten, die eigentlich anwesend sein müssten,
sind da. Zu einem Studenten, der links vorn in der ersten Reihe sitzt, sagt er:
»Könnten Sie bitte die Tür zumachen?«
Er wartet so lange. Es bleibt eine Form von Theater, die Wissensvermittlung.
Keine Opera buffa mehr, eher minimalistisch.
»Beim letzten Mal haben wir angefangen, die Theorien von Smith und Hume
zu besprechen. Wenn ich mich nicht irre, solltet ihr selbständig weiterlesen. Beginnen
wir mit Hume.«
Er versucht, den Zauber, den Hume und Smith seinerzeit auf ihn ausübten,
auf seine Studenten zu übertragen, doch er weiß, dass es eine Gratwanderung ist,
zwischen »sich lächerlich machen« und »jemanden zu begeistern versuchen«, vor allem
hier, wo seine Position eine fragilere ist als in Rotterdam. Er ist zurückhaltender
in seinen Lehrmethoden geworden. Vorsichtiger.
Oberstein muss an seine erste Vorlesung denken. Er hatte vor den Studenten
gestanden, manche kaum jünger als er, und gedacht: Wie komme ich bloß durch die
nächsten neunzig Minuten? Die Panik, die ihn packte, ließ sich [229] in einem einzigen
Satz zusammenfassen: Wenn sie nur ja nichts bemerken von meiner Panik.
Im Laufe der Jahre war diese Panik verschwunden, und er hatte den Standpunkt
entwickelt, dass Aufmerksamkeit erkämpft werden muss.
Man kann nicht erwarten, dass Studenten den Vorlesungssaal schon hochmotiviert betreten.
Eine Methode, ihre Aufmerksamkeit zu erzwingen, bestand darin, mit den Augen überall
zu sein und sie mit dem eigenen Wissen zu beeindrucken.
Eine Zeitlang hatte er verbissen seinen Stoff
runtergebetet wie manch ein Schauspieler seine Rolle, doch anders als der Schauspieler
sah er sein Publikum, und dessen Aufmerksamkeit war es, worum er so verbissen kämpfte.
Hingerissen, verführt, notfalls hypnotisiert musste es werden. Er musste ihnen ein
Idealbild vermitteln, es selbst verkörpern, und sie mit seiner Darbietung überzeugen,
dass die Mühe sich lohnte, dass die Suche nach der Wahrheit um ihrer Schönheit willen
auch unabhängig von praktischen und vielleicht sogar finanziellen
Vorteilen die Anstrengung wert war.
Im Vergleich zu Rotterdam wirken manche Studenten hier nicht sehr gepflegt. Bisweilen sind sie klug, sehr klug sogar, aber ungepflegt. Das ist keine Bewertung, er stellt es nur fest.
Rechts vor ihm sitzt ein Junge mit auffälligen Piercings, der nie etwas
sagt. Ein
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