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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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ihrem Schreibtisch stehen mindestens zwanzig Notizbücher, alle schwarz
und von ihr vollgeschrieben. Nicht für die Nachwelt, nicht in der Hoffnung, dass nach ihrem Tod jemand etwas Besonderes darin entdeckt.
In der [236]  Schulzeit hat sie damit angefangen. Von ihr aus können die Bücher einmal
zusammen mit ihr und Meneer Bär begraben werden.
    Das Gespräch über Wytses Karriere war eine kalte Dusche. Es tötete jede
Erotik. Was sie allerdings nicht aufgeschrieben hat. Warum auch? Sie hatte Wytse
plötzlich unsicher gefunden. In einer Tour hatte er rhetorische Fragen gestellt
und sie erwartungsvoll angesehen, zweifellos in der Hoffnung,
sie würde sagen: »Ja, so sehe ich das auch.«
    Am frühen Morgen im Bett möchte sie keine Sätze hören wie: »Ich will
europäischer Marktführer für Satellitentelefone werden. Das werd ich doch schaffen, denkst du nicht?«
    Es ist nicht ihre Aufgabe, Männern Selbstsicherheitstraining zu geben.
Selbstsicher müssen sie schon von alleine sein.
    Doch der Sex davor war überraschend gut gewesen, und das war das Wichtigste.
Darum hatte sie sich in ihren Notizen auf die nackte Tatsache beschränkt.
    »Und wie lang bleibst du so in Afrika?«, fragt sie, während sie immer
noch den Spülmittelgeruch in der Nase hat.
    »Meistens drei, vier Wochen. Die Teams von den Hilfsorganisationen sind
dort, wo Leute sterben, wo Krieg ist, Hungersnot, und ohne ein Satellitentelefon
sind sie aufgeschmissen. Da komme ich ins Spiel. Mit einem Satellitentelefon kann
man überall arbeiten, auch zwischen Leichen, denn man hat seine Verbindung zur Welt.
Und es hat doch was, wenn man mitten in der Nacht sein Satellitentelefon rausholt,
sein Notebook aufklappt und unter freiem Himmel seine Buchhaltung macht. Das ist
einfach klasse.«
    Sie wirft einen Blick auf seine Aktentasche.
Eine [237]  Berufsdeformation. Alles, was mit Taschen zu tun hat, fasziniert sie.
    An dem Abend hatte sie das Gefühl, wichtig für Wytse zu sein, wichtiger
als seine Eltern, seine Familie, sein Beruf, als alle Satellitentelefone der Welt.
So hatte es sich angefühlt, als er sie auf der Party küsste, als seine Hand zwischen
ihre Beine glitt, und später zu Hause, in ihrem Bett.
    Jeder will sich ab und zu wichtig fühlen. Ein verständlicher und eigentlich
auch ziemlich bescheidener Wunsch, vor allem, wenn man es nur alle Jubeljahre verlangt.
    Immer noch redet Wytse von Afrika. Er gestikuliert wild mit den Händen.
Sein Enthusiasmus ist ansteckend.
    »Und hast du nicht manchmal Angst?«, fragt sie. Sie muss gleich weg,
aber sie will das Gespräch hier mit Anstand zu Ende bringen.
    Er zuckt mit den Schultern. »Eigentlich nicht. Ja, Angst, dass ich es
nicht schaffe. Angst, dass der Markt für Satellitentelefone
plötzlich zusammenbricht, aber weißt du, was das Verrückte ist? Trotz der Krise
wächst dieses Segment ständig weiter. Durch die Krise leiden immer mehr Menschen
an Hunger, und das bedeutet, dass immer mehr Helfer mit Satellitentelefonen nötig
sind. Es klingt vielleicht seltsam, aber für mich ist die Krise ein richtiger Boom.«
    »Ein Boom«, sagt sie leise.
    Anders als mit Roland war es gewesen. Der Sex mit Roland ist auch gut,
keine Frage, aber Roland gibt ihr oft das Gefühl, dass
Sex ihn eigentlich mehr aus dem Konzept bringt, eine Ablenkung von etwas viel Wichtigerem
ist, der Geschichte der Spekulationsblase und der ökonomischen Perspektive auf den
Völkermord. Ein Zeitverlust, den er [238]  sich eigentlich gar nicht leisten kann. Dass
sie, Violet, in seinem Leben insgesamt eine Störung darstellt, diesen Eindruck vermittelt
er ihr manchmal.
    Hinterher bleibt er immer noch fünf Minuten in ihren Armen liegen, doch
wieder hat sie das Gefühl, dass er sich eher dazu zwingt. Jemand muss ihm einmal
gesagt haben, das gehöre sich so, oder er hat es irgendwo gelesen und wartet darum,
bis die fünf Minuten vorbei sind, um dann schnell zurück an sein Notebook zu gehen.
Wenn es spät ist, dreht er sich sofort um und schläft ein.
    Und morgens will er überhaupt nie mit ihr schlafen, er steht auf und
flitzt zu seinem Notebook, als sei das aufregender als
jede Frau. »Was gibt’s denn schon wieder so Dringendes?«, hat sie einmal gefragt.
    Er murmelte nur irgendwas Unverständliches von: »E-Mails … Studenten …
Forschung … Fachzeitschriften … Artikel … Deadlines …
Konferenzen.«
    »Trinkst du noch ein Glas Wein?«, fragt Wytse. »Ich nehm noch ein Bier.«
    Sie war Wytse zum ersten Mal auf einer

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