Mit Haut und Haaren
hüglige Landschaft des Campus geht
er zurück zum Center. Es ist sonnig, aber sehr frisch. Unterwegs begegnet er zwei
seiner Studenten. Er erkennt sie, ihre Namen allerdings sind ihm entfallen, doch
sie grüßen ohnehin nicht.
Auf dem Rückweg von seiner Dienstagvormittagsvorlesung bleibt er an einer
bestimmten Stelle auf halber Strecke oft stehen, um Violet
eine SMS zu schreiben; ein herrlicher Fleck zum Verweilen,
man überblickt die gesamte Umgebung, außer es regnet und die Wolken hängen tief.
Doch meist hindert ihn auch das nicht an seiner Gewohnheit.
[233] Auch am heutigen Dienstag bricht er die Tradition nicht. Er schreibt:
»Liebste, alles in Ordnung bei dir?« Als er sein Handy wieder einstecken will, sieht
er, dass Lea ihm eine SMS geschickt hat.
»Ich sehne mich nach dir«, lässt sie ihn wissen.
Er hält inne, Mobiltelefon in der Hand, und stellt seine Büchertüte wieder
auf den Boden.
Was sehen sie nur alle in ihm? Nicht, dass er sich für komplett unattraktiv
hält, doch er hat stark das Gefühl, dass Frauen, die sich für ihn interessieren,
einen anderen sehen, dass ihr Interesse auf einem Irrtum beruht.
Er zögert, lächelt, dann schreibt er zurück: »Ich mich auch nach dir.«
Auch Sehnsucht kann eine Frage der Höflichkeit sein. Er ist neugierig
auf sie. Der Unterschied zwischen Verlangen und Neugier ist vielleicht weniger groß,
als man gemeinhin annimmt.
Was ist Verlangen? Ob Menschen oder Produkte – es folgt alles der Ökonomie
des Begehrens.
Er nimmt seine Plastiktüte und geht weiter zum Center, wo er gleich mit
seinen Kollegen zum Lunch fahren wird. Danach wird er sich an seinen Computer setzen,
um sein allwöchentliches Telefonat mit seiner Mutter zu führen.
[234] 14
»Erinnere mich dran, dass ich gleich noch Pfannkuchenmix kaufen
muss«, sagt Violet, während sie ihr Handy in die Handtasche steckt.
»Pfannkuchen«, wiederholt Wytse. Er spricht das Wort mit hörbarem Appetit
aus.
»Und Puderzucker. Aber den hab ich selbst noch zu Hause«, fügt sie hinzu.
Obwohl es Wytse im Grunde nichts angeht, was sie noch zu Hause hat und was nicht.
Sie sitzen in Violets Lieblingskneipe an der Lindengracht.
Wytse hat auch eine Tasche dabei, eine Aktentasche für Herren. Sie fragt
sich, was wohl darin ist. Werbung für Satellitentelefone? Kundenverträge? Eine Banane,
die er eigentlich zum Lunch essen wollte?
Sie hat von dem Mix angefangen, um ihr Handygespräch wiedergutzumachen,
aber auch, um schon mal anzukündigen, dass sie gleich wegmuss. Damit er versteht,
dass er weiter nichts zu erwarten hat. Einmal ist keinmal. Aber jetzt ist es genug.
Wytse erzählt von Afrika, von Hilfsorganisationen, die Satellitentelefone
brauchen. Ab und zu nickt sie und nimmt zwischendurch einen Schluck Wein, der ihr
heute nicht richtig schmeckt. Billiger Fusel, der nach Spülmittel riecht. Meist
riecht der Wein hier nach Wein.
Sie hat studiert, ist nach Amsterdam gegangen und entwirft Taschen, sie hat eine Beziehung mit dem Diplombetreuer ihres
Ex, sie macht Yoga, und mit sechsundzwanzig [235] hat sie die Einsamkeit kennengelernt.
Sie weiß noch genau, wann das war, sie fuhr mit dem Fahrrad nach Hause, nachdem
sie tagsüber eine dreieckige Tasche entworfen hatte, und plötzlich ging es ihr auf:
Ich bin einsam. Sie rief Roland an, und der sagte: »Das mag höchst unangenehm für
dich sein, aber im Grunde ist es nicht übel. Ohne Einsamkeit keine wahre Produktivität.
Du musst lernen, sie zu lieben, wie Ingwer.«
»Fährst du oft nach Afrika?«, fragt sie Wytse.
»Nicht oft«, antwortet der, »aber manchmal
muss man vor Ort sein, um die Situation mit eigenen Augen zu sehen. Wo werden die
Satellitentelefone benutzt und wofür? Mit was für Problemen hat der Kunde zu kämpfen?«
»Natürlich«, sagt sie leichthin. Sie denkt nicht an die Vor-Ort-Situation
in Afrika, sie denkt an den Morgen, als Wytse neben ihr wach wurde und sie noch
einmal mit ihm Sex hatte, weil sie dachte: Wo er schon hier ist, kann ich das gleich
noch mal ausnutzen. Hinterher hatte sie mit ihm das Gespräch über seine Karriere
geführt. Der Sex war gut gewesen, vielleicht mehr als das, und sei es nur darum,
weil es spannend ist, wenn einen ein Unbekannter berührt, sie hatte vergessen, wie
aufregend das war. In so einem Moment, bei der ersten Berührung, elektrisieren die
Hände des anderen. »Ich war mit einem andern im Bett«, hatte sie später in ihrem
Tagebuch notiert. Mehr nicht. Zu mehr hatte sie keine Ruhe gehabt.
Auf
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