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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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Abend guttun.
    »Medium, bitte.«
    Roland nimmt das Steak Tartare mit Pommes frites.
    Er hebt sein Glas. »Worauf wollen wir trinken?«, fragt er.
    »Auf Völkermord jedenfalls nicht«, sagt Lea. »Das wäre geschmacklos.«
    »Was sagst du? Ich kann dich nicht hören.«
    »Auf Völkermord kann man nicht trinken. Es ist laut hier.«
    »Du sprichst leise. Darum verstehe ich dich nicht. Auf die Erforschung
von Völkermord kann man sehr wohl trinken.«
    »Dann trinken wir darauf«, sagt Lea.
    Sie schaut sich um. »Kommst du oft her?«,
fragt sie.
    »Meine Vermieterin hat mir das Restaurant empfohlen. Eine nette Frau.
Ein bisschen einsam. Meistens nimmt sie das Steak Tartare.«
    Ein neuer Korb Brot und Butter werden gebracht. Lea nimmt eine Scheibe
Baguette, bestreicht sie mit Butter und überlegt, ob sie für Roland auch eine Scheibe
zurechtmachen soll, entscheidet sich dann aber dagegen. Das wirkt zu mütterlich.
    »Fehlen dir deine Frau und dein Sohn nicht? Die meisten meiner Bekannten
haben schon seit Jahren Familie. Du hingegen lebst wie ein Junggeselle.«
    »Ich hatte Familie«, sagt Roland. »Und ich
habe eine Freundin.«
    Es klingt nicht bedauernd, auch nicht triumphierend, eher trocken.
    [283]  Sie kaut auf einem Stück Brot, das Schweigen gefällt ihr nicht, schnell
schluckt sie den Bissen hinunter.
    »Aber die ist nicht da.«
    »Nein, die ist nicht da«, bestätigt er.
    »Und fehlt es dir nicht?«
    »Das Familienleben?« Er schüttelt den Kopf. »Nein. Dinge oder Menschen
fehlen mir selten. Das hat man mir schon oft verübelt.
Aber ich hab dazu kein Talent. Vielleicht ist das mein Fehler.«
    Ein großer Brotkrümel klebt an seiner Oberlippe. Er scheint ihn nicht
zu bemerken.
    »Vielleicht redest du dir das alles nur ein«, sagt sie. »Vielleicht fehlen
sie dir enorm. Und dein Sohn?«
    »Der fehlt mir manchmal. Aber nicht immer. Nicht grundsätzlich. Wie ich
schon sagte: Ich hab dazu kein Talent. Nicht mal bei ihm. Ich denke an ihn. Aber
an jemanden denken ist nicht dasselbe wie ihn vermissen. Ich hab keine Begabung
zum Leiden. Und ein leichtes Schuldgefühl jemandem gegenüber ist etwas anderes als
ihn vermissen.«
    Mit dem Zeigefinger berührt sie seine Oberlippe.
Sie muss sich dazu über den Tisch beugen. Zum Glück ist der nicht so breit. Der
Krümel ist weg.
    »War da was?«, fragt er.
    »Ich hab einen Krümel weggewischt. Tut mir leid, ich hätte erst fragen
sollen.«
    »Macht nichts. Du hättest mir auch ruhig wieder in die Nase kneifen können.
– Ist jemanden vermissen dasselbe wie Hunger haben? Wenn einem wer fehlt, hungert
man dann nach ihm? Dann habe ich nie Hunger. Höchstens Appetit.«
    [284]  Einen Moment lang weiß sie nichts mehr zu sagen, und sie nimmt einen
Schluck Wein, doch er schmeckt schal.
    »Soll ich mal was für dich kochen?«, fragt sie dann.
    »Ist das deine Art, mir zu sagen, dass dir das Restaurant nicht gefällt?«
    »Es ist meine Art, dir zu sagen: Kommst du
mal zum Essen?«
    »Und dein Mann?«
    »Mein Mann hält nicht viel von neuen Rezepten. Er bleibt beim Altbewährten,
du aber siehst mir wie jemand aus, für den selten gekocht wird.«
    Es klingt mitleidig, doch so ist es nicht gemeint. Schnell fügt sie hinzu:
»Wie jemand, der neue Rezepte zu schätzen weiß.«
    »Wolltest du dich darum mit mir treffen, um
mich als Versuchskaninchen für neue Rezepte anzuwerben?«
    Sie weiß nicht, ob er Spaß macht oder es ernst meint. Auf jeden Fall
lächelt er freundlich.
    »Ich wollte mit dir über Völkermord reden. Darum sitzen wir hier. Trotzdem
würde ich auch gern mal was für dich kochen.«
    Natürlich wollte sie über etwas ganz anderes reden. Sie wollte ihm sagen:
Wie der Henker nach Mord, so sehne ich mich nach Sex. Sex ist Intimität. Und danach
sehne ich mich. Liegt es an dem jahrhundertelangen Einfluss
der Kirchen auf unsere Kultur, dass man nicht mal religiös erzogen zu sein braucht,
um mit der Idee aufzuwachsen, dass Sex keine Rettung sein kann? Neugierig war sie
gewesen, was er dazu gesagt hätte. Wo er angefangen hätte, bei der Religion, der
Indoktrination oder beim Sex.
    [285]  Er holt ein Buch unter dem Tisch hervor, schmucklos verpackt in braunes
Papier.
    »Hier«, sagt er. »Das Buch, das ich dir versprochen
hatte.«
    Sie reißt das Packpapier auf.
    Economic Origins of Dictatorship and Genocide liest sie.
    »Danke, sehr aufmerksam.«
    Sie verstaut den Band in ihrer Tasche.
    »Drei Beiträge stammen von mir, und die Idee zu dem Buch eigentlich auch.«
    »Deine

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