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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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längerem Drängen hatte Violet seinen Bitten, mit ihm ins Kino zu
gehen, endlich nachgegeben. »Flehentlich« will sie die Bitten nicht nennen, und
vielleicht ist »nachgegeben« auch übertrieben – sie hatte einfach gedacht: Warum
eigentlich nicht? Mein Freund ist in Fairfax. Warum sollte ich abends zu Hause sitzen,
allein durch die Stadt laufen oder mir Mirjams Geschichten über ihren Liebhaber
anhören, darüber, wie sie sein Sexualleben gerettet hat?
    [292]  Vielleicht konnte man durchaus Freundschaft schließen
mit jemandem, mit dem man einmal – nun ja, zweimal – im Bett gewesen war. Gut möglich
– obwohl sie immer anders darüber gedacht hatte –, dass solch ein Einstieg einer
Freundschaft nicht im Weg stand. Letztlich ist die körperliche
Liebe doch nur ein Detail. Gemessen an der Zeit, die man insgesamt mit einem Menschen
verbringt, eine Kleinigkeit.
    Sie standen vor dem Filmmuseum.
    »Oder hättest du Lust zu sehen, wo ich wohne?«, hatte Wytse weitergefragt.
»Es stehen noch ein paar Sachen von meiner Ex herum, aber ansonsten ist es eine
ganz schöne Wohnung.«
    Er hatte lausbübisch gekichert.
    »Was steht von deiner Ex denn noch da?«, hatte sie gefragt.
    »Eine Lampe.«
    »Und warum wirfst du die nicht weg?«
    »Wär schade drum. Sie hat nicht so viel Geld. Vielleicht kommt sie die
irgendwann noch mal holen.«
    Am Tag zuvor hatte Violet sich die Zähne bleichen lassen. Es war schmerzhafter gewesen, als sie gedacht hatte, und sie durfte nach der
Behandlung für ein paar Stunden nichts essen. Es war ein ungewohntes Gefühl gewesen,
Sylvie als Zahnärztin zu erleben, doch das hatte sich gelegt, und während Violet
im Behandlungsstuhl lag, hatte sie gedacht, sie und Sylvie könnten vielleicht doch
Freundinnen werden. »Das ist Sylvie, eine Freundin von mir«, würde sie zu den Leuten
sagen. Es ist gut, mit der Mutter des Sohns seines Freundes befreundet zu sein.
Das vereinfachte vieles. So würde sie mehr an Rolands Leben teilhaben.
    [293]  »Siehst du was?«, fragte sie Wytse und sperrte den Mund auf.
    Wytse schaute hinein und verneinte.
    »Schau noch mal genau hin.«
    Sie öffnete den Mund noch einmal. Sperrangelweit.
    »Ich kann wirklich nichts erkennen. Es ist ziemlich dunkel, vielleicht
sollte ich mir deinen Mund zu Hause noch mal genauer ansehen. Hast du da ein Bläschen?«
    »Ich hab mir die Zähne bleichen lassen. Für
meinen Freund.«
    Violet hatte eine rote Handtasche dabei, von ihr selbst entworfen.
    »Wollte dein Freund das von dir?«
    »Das Bleichen? Nein, es ist eine Überraschung, ein Geschenk. Er will
nichts von mir. Wenn er mich wiedersieht, sind meine Zähne gebleicht.«
    Violet lachte. Sie hatte das Thema angeschnitten, um Wytse zu provozieren.
Doch auf einmal konnte sie nicht mehr an sich halten, weil sie Wytse mit Zähnen
provozierte, die sie für ihren Freund hatte bleichen lassen, von dessen Ex.
    »Ich bin mit dem Fahrrad gekommen«, sagte sie. »Ich hab es hier irgendwo
angeschlossen.«
    Sie musste kurz suchen und machte das Rad los.
    »Mag dein Freund weiße Zähne?«
    »Nicht, dass ich wüsste. Jedenfalls hat er nie was in der Richtung gesagt.
Eigentlich weiß ich nicht, was er mag, ja, seine Arbeit – oder besser: er liebt sie –, aber wer mag schon keine weißen Zähne? Seine Ex
hat sie gebleicht. Oder bist du mehr für gelbe?«
    [294]  »Ich bin mehr für deine. Egal, was für
eine Farbe sie haben.«
    Wytse sprang bei ihr auf den Gepäckträger. Er war schwerer, als sie gedacht
hatte. Vielleicht lag es an der Müdigkeit, oder sie hatte zu wenig gegessen. Die
Zeit hatte nur für einen Salat gereicht.
    »Verstehst du dich gut mit seiner Ex?«, fragte Wytse.
    »Er hat einen Sohn«, antwortete sie. Als würde das alles erklären.
    Ohne größere Probleme gelangte sie nach Wytses Anweisungen zu seiner
Wohnung, in einer Gegend von Amsterdam, wo sie sonst so gut wie nie hinkam. »Da
wohne ich«, sagte er, »über dem Thai-Restaurant.«
    Im Restaurant saß niemand. Ein junger Asiate stand vor dem Schaufenster
und schaute Violet traurig an.
    Kurz darauf durchquerte Violet Wytses Wohnzimmer, das offensichtlich zur Hälfte als Arbeitszimmer
diente. Sie fand es aufregend, Wytses Wohnung zu sehen.
    Alle Zimmer waren ordentlich eingerichtet. Erst recht, wenn man bedachte,
dass er allein wohnte. In verschiedenen Studenten- WG s
hat sie einschlägige Erfahrungen gemacht: der Mann in seiner privaten Umgebung.
Ihr Bild vom Mann ist davon nicht rosiger geworden, ihr Bild vom Wohnen

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