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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnon Grünberg
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Violets Mund klingt das Wort »Rettung« beinahe albern. Macht er ihr
auch Angst?, fragt sich Sylvie. Und sagt sich Violet dann, um seinen Worten das
Bedrohliche zu nehmen, genau wie sie immer: »Er macht nur Witze. Er meint es nicht
bös.«
    »Darf ich jetzt endlich Pippi in Taka-Tuka-Land hören?«
    Jonathan läuft zum CD -Spieler und drückt auf Start.
    »Du wolltest doch Pfannkuchen mit Violet
backen?«
    Pippi in Taka-Tuka-Land schallt durchs Zimmer.
Jonathan mag es laut.
    »Ganz vergessen«, sagt er.
    Er geht mit Violet in die Küche. Sylvie bleibt am Tisch sitzen und hört Pippi Langstrumpf. Jonathan hat sein Hähnchen stehenlassen.
    [270]  Ab und zu dringt seine Stimme bis zu ihr.
    Sie weiß, dass sie jetzt abräumen müsste, rührt sich aber nicht vom Fleck.
Ihr dröhnt der Kopf, sie will den CD -Spieler ausstellen,
sie will Pippi in Taka-Tuka-Land nicht mehr hören, doch
sie rührt keinen Finger.
    »Soll ich schnell abräumen?«, fragt Violet.
    Sylvie hat sie gar nicht hereinkommen hören.
    »Ich mach das schon«, sagt sie. Sie steht sofort auf und stapelt die
Teller übereinander.
    »Er ist gewachsen«, sagt Violet. »Richtig
groß geworden.«
    Sylvie nickt. »Würde dir das gefallen, ein Kind?«
    »Irgendwann vielleicht. Zwei, denke ich.«
    Zusammen gehen sie in die Küche.
    Jonathan wartet schon, eine große Gabel im Anschlag. Der Teig ist bereit.
    Sie essen die Pfannkuchen im Wohnzimmer. Diesmal ohne Jonathans Hörbuch.
Sein Teller ist noch halb voll, da schläft er auf dem
Schoß seiner Mutter ein.
    Obwohl Sylvie eigentlich keinen Appetit mehr hat, isst sie pflichtbewusst auf, was Jonathan übriggelassen hat.
    Violet macht keine Anstalten zu gehen.
    Es ist noch Wein da. Weil Violet sich nicht rührt, schenkt Sylvie ihr
nach. Ab und zu streicht sie mit dem Finger über ihren Teller und leckt dann den
Puderzucker ab. Ihr Sohn schläft tief. »Muss er nicht
ins Bett?«, fragt Violet.
    »Ich bring ihn gleich hoch.«
    »Soll ich dir helfen?«
    Sylvie schüttelt den Kopf.
    »Roland ist manchmal echt schwierig.«
    »Wie meinst du das?«, fragt Sylvie. Sie wirft einen
Blick [271]  auf Violets Zähne. Die Zähne sind gelb. Ihr ist das schon früher aufgefallen,
aber mangels Gelegenheit hat sie nie ein Wort darüber verloren.
    Sie denkt an den Hund, der ihren Hamster zerfleischte.
    »Manchmal frage ich mich, was ich an ihm
finde.«
    »Ja, was findest du an ihm?«, fragt Sylvie.
    Violet spielt mit ihrer Kette. Ein Geschenk von Roland, weiß Sylvie.
    »Er kann gut zuhören. Er hat ein gutes Gedächtnis. Er hat eine lustige
Sicht auf die Dinge.«
    »Auf die Dinge«, echot Sylvie.
    »Aber seine Arbeit kommt immer an erster Stelle. Und dann kommt ewig
lang nichts. Manchmal denke ich sogar, er würde es nicht schlimm finden, wenn ich ihn verlassen würde, oder es wäre ihm egal.«
    »Ach nein, das denke ich nicht«, sagt Sylvie.
    Sylvie streicht noch einmal mit dem Finger über ihren Teller.
    »Darf ich dich mal was fragen? Hast du früher
geraucht?«
    »Nein, wieso?«
    »Deine Vorderzähne sind ein bisschen vergilbt. Vor allem bei roten Lippen
fällt das auf.«
    Violet schaut verdutzt.
    »Ich hab nie geraucht«, sagt sie. »Ein paar Zigaretten, wenn ich ausgegangen
bin. Aber nie richtig.«
    »Ich kann sie dir bleichen«, sagt Sylvie. »Gratis natürlich. Als Freundschaftsdienst.«
    Violet starrt auf ihren fast leeren Teller. Ein kleines Stück Pfannkuchen
liegt noch darauf. Sie sieht müde aus.
    »Ich finde das nicht so nett.«
    [272]  »Was?«
    »Was du über meine Zähne gesagt hast.«
    »Es war nett gemeint.«
    »Ich kritisiere dich doch auch nicht.«
    Sylvie holt tief Luft. »Es war freundlich
gemeint. Nicht als Kritik. Wenn du möchtest, kann ich dir die Zähne bleichen. Wenn
nicht, ist es auch gut.«
    Ob sie mich jetzt wieder für kalt hält, denkt Sylvie. Dabei ist es doch
großherzig, der neuen Freundin seines Mannes anzubieten, dass man ihr die Zähne
bleicht. So wird sie noch schöner, gepflegter. Und außerdem
gratis. Doch das empfindet Violet offenbar als Bevormundung.
    »Okay«, sagt Violet schließlich. »Wenn du denkst, es ist nötig, bleich
sie mir mal. Du bist die Zahnärztin.« Sie steht auf und will die Pfannkuchenteller
abräumen.
    »Lass sie ruhig stehen. Das mache ich nachher«, sagt Sylvie.
    »Ich finde es schwierig.« Mit zwei Tellern
steht Violet regungslos da.
    »Was?«
    »Die ganze Situation.«
    Sylvies Arm ist eingeschlafen. Jonathans Kopf liegt darauf. Sie fürchtet,
ihn zu wecken, wenn

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