Mit Herz und Skalpell
nur glauben? Alexandras Geschichte klang plausibel, aber konnte sie ihrem Vater eine solche Ungeheuerlichkeit wirklich zutrauen? Oder konnte es noch einen anderen Grund geben, aus dem Alexandra Lindas Vater schaden wollte?
»Das ist doch alles völlig absurd«, brach es mit einem Mal aus ihr heraus. »Völliger Unsinn. Mein Vater ist zu vielem fähig, aber das würde er niemals machen.«
Alexandra stand nun ebenfalls auf und stellte sich ihr in den Weg. »Komm her.« Sie streckte beide Arme nach ihr aus.
»Lass mich«, fuhr Linda sie an. Sie wehrte sich, schlug auf Alexandras Oberkörper ein, versuchte sie von sich wegzudrücken.
Aber Alexandra war größer und stärker. Sie packte Lindas Handgelenke und zwang sie mit festem Griff, sie anzusehen. »Beruhig dich«, sagte sie eindringlich. »Glaub mir, das ist die Wahrheit. Und hätte ich gewusst, was im Laufe der Jahre passieren würde, dass ich ausgerechnet dich treffen würde – ich hätte nicht die Feindschaft mit deinem Vater gesucht.«
Unter Alexandras warmen Händen wich die Anspannung allmählich aus Lindas Muskeln. Schließlich ließ sie sich in Alexandras Arme ziehen. Sie lehnte den Kopf an ihre Schulter. Ihr Herzschlag beruhigte sich, das Pochen in ihrem Kopf hatte nachgelassen. Alexandras gleichmäßige Atemzüge waren wie Medizin. Hier war sie geborgen und sicher . . .
»Wie kann das alles sein?«, murmelte sie, nicht mehr anklagend und zornig, sondern nur noch verwirrt. »Manchmal weiß ich nicht, wem ich glauben soll. Er ist doch mein Vater.«
Alexandra strich ihr sanft durch die Haare. »Ich weiß. Ich wünschte, es wäre alles anders, aber ich kann es nicht ungeschehen machen. Und . . .« Sie hielt inne, zögerte.
Linda seufzte und vollendete Alexandras Satz: »Wenn es wahr ist, hatte er es verdient.«
»Es gibt keinen Grund für mich, dich zu belügen«, erklärte Alexandra leise, aber mit Nachdruck. Sie löste ihre Umarmung ein wenig, und ihr Blick suchte Lindas.
Linda versank in den dunklen Augen, die warm schimmerten. Doch gänzlich fallen lassen wollte sie sich noch nicht. »Alexandra, sag mir ehrlich: Was bin ich für dich? Was willst du von mir?«
Alexandra ließ die Arme sinken und trat einen Schritt nach hinten. »Ich . . .« Sie räusperte sich und sah Linda hilfesuchend an. Doch Linda schaute nur erwartungsvoll zurück.
Also fuhr Alexandra leise fort: »So etwas wie mit dir ist mir noch niemals zuvor passiert. Solche Gefühle . . . Das kenne ich nicht.« Sie stockte, rieb sich über ihr Schlüsselbein, dann griff sie nach Lindas Händen. Ihre Finger waren feucht. »Wenn andere Menschen vom Verliebtsein geschwärmt haben, habe ich sie immer nur müde belächelt. Aber jetzt . . .« Sie schluckte. »Mir dir ist das alles anderes. Ich erkenne mich selbst nicht wieder. Ich weiß nicht, wie ich mit diesen Gefühlen umgehen soll. Ich bin absolute Anfängerin in diesen Dingen.« Unablässig fuhr ihr Daumen über Lindas Handrücken.
Die Wärme ihrer Hände breitete sich in Lindas ganzem Körper aus und vermischte sich mit einem Glücksgefühl, das immer stärker, umfassender wurde, je länger Alexandra sprach. Alexandra empfand tatsächlich das gleiche für sie, Linda, wie sie selbst für Alexandra. Es war überwältigend – auch wenn Linda es ja schon vermutet hatte. Aber es aus Alexandras Mund zu hören, das war fast zu schön, um wahr zu sein.
Sie lächelte, um sofort wieder ernst zu werden. »Ich habe auch noch nie so etwas Intensives erlebt wie mit dir. Manchmal macht es mir richtig Angst«, gab sie zu.
Für einen Moment schloss Alexandra die Augen. »Mir auch.« Sie atmete tief durch. Als sie die Augen wieder öffnete, war auch ihr Blick sehr ernst. »Abgesehen davon gibt es viele Dinge, die dagegen sprechen, dass wir ein Paar sein sollten. Nicht nur, dass wir zusammen arbeiten, ich einige Jahre älter bin als du und dein Vater verrückt werden würde, wenn er von mir wüsste . . .« Sie biss sich auf die Unterlippe und senkte die Stimme. »Vor allem kann ich dir nicht versprechen, dir nicht doch eines Tages das Herz zu brechen. Nicht mit Absicht, aber trotzdem . . . Ich glaube, ich bin ein emotionaler Krüppel.«
Unwillkürlich musste Linda grinsen. »Jetzt übertreibst du!«
Alexandra runzelte die Stirn. »Nein, das tue ich nicht. Aber ich verspreche dir, dass ich dir nicht absichtlich wehtun will. Ich möchte es gern mit dir versuchen, aber ich kann für nichts garantieren.« Ihre Wangen glühten.
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