Mit Herz und Skalpell
Therapie subduraler Hämatome.« Sie machte eine kurze Pause, als falle es ihr schwer, weiterzusprechen. »Ein neues Medikament sollte auf den Markt kommen und die Therapie bei Blutungen im Kopf revolutionieren. Dein Vater hat dazu eine große Studie gemacht.«
Ja, das deckte sich mit Lindas Erinnerungen. Ganz vage war ihr bewusst, dass ihr Vater beim Abendessen ein paarmal etwas davon erzählt hatte. Aber sie hatte nicht verstanden, worum es ging. Sie war noch zu jung gewesen, und außerdem hatte es sie ohnehin nicht wirklich interessiert, woran ihr Vater forschte.
»Ich habe mir den Vortrag natürlich angehört. Es wurde ein großer Wirbel darum gemacht, alle waren aufgeregt, was dein Vater für Ergebnisse präsentieren würde.« Wieder eine Pause. Alexandra starrte ins Leere. »Aber schon nach ein paar Minuten war mir völlig klar, dass es Blödsinn war, was dein Vater da erzählte. Fernab jeglicher wissenschaftlicher Grundlagen. Es passte nichts zusammen.«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Linda mit trockenem Mund.
»Die Studie war schlecht konzipiert, und die Auswertung war mangelhaft. Das hätte eigentlich jeder Doktorand besser gekonnt. Aber dein Vater ist ja nicht dumm. Er hat die Daten gut verkauft, gekonnt angepasst und alle geblendet. Jedenfalls schien niemand außer mir etwas zu bemerken oder sagen zu wollen.« Alexandra hielt inne. Für einen Moment sah sie Linda an, und ihr Blick war fast scheu.
»Und . . . dann?« Linda war immer noch wie erstarrt. Es war schwer, all dem, was Alexandra da sagte, einen Sinn zu entnehmen. Hatte ihr Vater tatsächlich Daten gefälscht?
Alexandra blickte auf ihre Hände, die reglos in ihrem Schoß lagen. »Ich habe vor versammeltem Auditorium nach dem Vortrag ein paar Fragen gestellt. Ich habe alle Missstände minutiös aufgedeckt und ihn komplett entblößt.« Sie schloss die Augen bei der Erinnerung daran.
Jetzt konnte Linda nicht einmal mehr etwas sagen. Oder denken. Das konnte doch alles nicht stimmen. Sie musste sich in einem Albtraum befinden . . .
Doch Alexandra berichtete gnadenlos weiter: »Ich habe ihm vorgeworfen, die Ergebnisse so manipuliert zu haben, dass für die Pharmafirma ein gelungenes Fazit herauskommt. Du kannst dir vorstellen, was in dem Sitzungssaal los war.« Ihre Stimme war leise geworden.
Da fand Linda ihre Sprache wieder. »Du hast was?«, fragte sie. Ihr schriller Tonfall peitschte durch die Stille. Wenn das wahr war . . . Sicher, ihr Verhältnis zu ihrem Vater war nicht das herzlichste, aber was das für ihn und seine Karriere bedeutet haben mochte . . . Sie fröstelte.
»Vielleicht war das nicht der richtige Weg, im Nachhinein betrachtet«, reagierte Alexandra auf Lindas Einwurf, und ihre Stimme klang wieder fest. »Aber damals war ich noch etwas hitzköpfiger als heute. Damit habe ich seine wohl größte Krise ausgelöst. Ich habe ihn nicht nur vor der gesamten Fachwelt gedemütigt, nein, er musste sich auch danach noch in mehreren Gremien rechtfertigen . . . seine Chefarztstelle, seine ganze berufliche Laufbahn stand auf der Kippe.«
Linda konnte sich daran erinnern, dass es eine Zeit gegeben hatte, in der ihr Vater besonders unter Stress gestanden hatte. Aber die Gründe hatte er ihr damals nicht verraten. Sie schüttelte langsam den Kopf. »Ich kann das gar nicht glauben.«
»Am Ende konnte er seine Karriere zwar retten«, fuhr Alexandra fort, »er war schon immer ein guter und überzeugender Redner, aber du kannst dir vorstellen, dass er seitdem nicht gut auf mich zu sprechen ist. Immerhin war ich damals nur eine kleine Assistenzärztin, und mein Angriff auf ihn hätte ihn fast den Kopf gekostet.«
Wenn das wirklich die Wahrheit war, erklärte das so einiges. Vor allem die überzogen erscheinenden Reaktionen von Lindas Vater, sobald sie Alexandra auch nur erwähnte . . . Aber war er tatsächlich ein Betrüger, der sich von reichen Geldgebern einspannen ließ und seine angeblichen Grundsätze über Bord warf? Sie atmete einmal tief ein und wieder aus. »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.« Plötzlich konnte sie nicht mehr still sitzen. Sie stand auf, und jetzt war sie es, die rastlos durch das Wohnzimmer lief. In ihrem Kopf rauschte es, und ihre Schläfen pochten heftig, was jeden klaren Gedanken verhinderte.
Alexandra schloss ihre Erzählung ab: »Wir sind uns danach nicht mehr begegnet, aber ich bin mir sicher, dass dein Vater meinen Werdegang mit Argusaugen verfolgt hat.«
Wem sollte Linda
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