Mit Herz und Skalpell
Bogenschießen war anstrengender als ich gedacht habe«, log sie ein zweites Mal. Ob diese ständigen Ausflüchte ein guter Anfang für ein klärendes Gespräch waren? Ihre Kehle zog sich zusammen.
»Du kannst dir gar nicht vorstellen, was ich in den ersten Monaten für Muskelkater hatte.« Alexandra schaltete den Motor ab.
Linda ging nicht weiter darauf ein. Es war einfach zu anstrengend, über Belanglosigkeiten zu plaudern.
Sie betraten Alexandras Wohnung. Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, kam Alexandra auf Linda zu und wollte sie in ihre Arme ziehen. Und Linda hätte sich so gern einfach fallen gelassen, aber es ging nicht . . .
Sie versteifte sich und wand sich aus der Umarmung. »Nein.« Wenn sie sich erst einmal Alexandras Liebkosungen hingab, war alles verloren. Auch wenn es scheinbar alle Probleme lösen würde – hinterher würde es ihr nur noch schlechter gehen.
Alexandra wich zurück. »Linda, mach mir nicht länger etwas vor. Was ist los mit dir?«
Linda senkte den Kopf. Sie nahm all ihren Mut zusammen. »Wir müssen reden.«
So, der Anfang war gemacht. Aber ihr Magen fühlte sich zentnerschwer an, als sie sich auf der Couch im Wohnzimmer niederließ und auf das Polster klopfte, damit Alexandra sich neben sie setzte.
Alexandra achtete darauf, etwas Abstand zu Linda zu halten, als sie neben ihr Platz nahm. »In Ordnung«, sagte sie leise. »Vielleicht verstehe ich dann, warum du dich mir gegenüber so merkwürdig verhältst.«
»Ich . . . muss dich etwas fragen.« Lindas Stimme zitterte leicht.
»Kein Problem. Was möchtest du wissen?« Alexandra versuchte, möglichst gelassen zu wirken, aber Linda konnte die Anspannung in ihrer Stimme hören.
Ihr wurde schwindelig, fast übel. Jetzt oder nie. »Was ist zwischen dir und meinem Vater vorgefallen?«, brachte sie schließlich heraus.
Sie war sich sicher, dass die Antwort auf diese Frage der Schlüssel zu allen weiteren Antworten auf ihre vielen Fragen war. Doch Alexandra machte ihr die Suche nach diesen Antworten nicht besonders leicht. »Nichts«, wiegelte sie sofort ab, viel zu schnell und viel zu laut. »Rein gar nichts.«
Linda hob den Kopf und funkelte Alexandra an. Eine Antwort hatte Alexandra definitiv gegeben – irgendetwas war vorgefallen und stand noch immer zwischen den beiden, etwas, das Alexandra offensichtlich geheim halten wollte. »Verkauf mich nicht für dumm«, sagte Linda tonlos.
Alexandra wich ihrem Blick aus, ebenso wie ihrer Frage: »Was sagt denn dein Vater dazu?«
»Er ist genauso verschwiegen wie du und rückt nicht mit der Sprache raus«, erwiderte Linda.
Ein verächtliches Lachen. »Das wundert mich nicht. Der perfekte Chefarzt und Vater schweigt.«
Das schwere, lastende Angstgefühl in Lindas Magen wandelte sich allmählich in Wut. Heiß und grollend ballte sie sich in ihrem Bauch zusammen. Warum redete keiner mit ihr? »Was ist passiert?«, fragte sie, und jetzt zitterte ihre Stimme nicht mehr. »Ich frage dich nur noch ein letztes Mal – und glaube mir, ich werde die Konsequenzen tragen und gehen, wenn du mir nicht ehrlich antwortest. Wenn ich nicht endlich erfahre, was hier los ist, ist das alles sinnlos zwischen uns. Was auch immer das sein mag.«
Alexandras Finger nestelten an den Knöpfen ihrer Bluse herum. Dann stand sie auf. »Gut, wenn du es wirklich willst.« Sie begann im Zimmer auf und ab zu laufen wie ein aufgescheuchter Tiger. »Es gibt tatsächlich etwas, was du vielleicht wissen solltest.«
»Was ist passiert?«, wiederholte Linda, bemüht um einen ruhigen Tonfall.
»Das ist eine längere Geschichte.« Alexandra knetete ihre Hände. Sie setzte sich wieder neben Linda.
»Ich habe Zeit«, sagte Linda trocken.
Alexandra holte tief Luft. »Dein Vater hätte wegen mir beinahe seine Karriere an den Nagel hängen müssen.«
Linda traute ihren Ohren nicht. Hatte ihr Vater also recht? Die Wut mischte sich mit Schock, Fassungslosigkeit und Angst zu einem Gefühlsorkan, der ihr fast die Sinne raubte. »Wie meinst du das?«, fragte sie. Ihre Kehle war rau.
»Du weißt, dass ich für ein Jahr in die Neurochirurgie rotiert bin«, begann Alexandra.
Linda nickte. Es war die einzige Bewegung, zu der sie fähig war, der Rest ihres Körpers war wie versteinert.
Alexandra fuhr fort: »Damals durfte ich zu einem neurochirurgischen Kongress fahren. Dein Vater, der damals schon Chefarzt in Düsseldorf war, hat einen Vortrag gehalten. Es ging um die supportive medikamentöse
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