Mit Herz und Skalpell
ihrem Körper konnte Linda sich nicht wehren. Aber jetzt musste sie stark bleiben. Sie schluckte.
»Ich habe dich gefragt, ob du Lust hast, heute Abend vorbeizukommen?«, wiederholte Alexandra ihre Frage. »Es ist wirklich dringend. Wirklich. Ich muss etwas mit dir besprechen.« Ihr Blick hatte beinahe etwas Flehendes.
Linda nickte. Sie hatte auch etwas mit Alexandra zu besprechen. Und je eher sie das erledigte, desto besser. Weglaufen war sinnlos – und würde die Qual nur verlängern. »In Ordnung. Ich komme um sieben zu dir.«
»Ich freue mich.« Alexandras Hand strich Lindas Arm entlang, als sie ihre Schulter losließ. Dann verschwand sie im Treppenhaus.
Linda spürte die Berührungen noch Minuten später. Eines war sicher – ihr Herz ließ sich nicht so einfach ausschalten.
»Komm doch rein.« Alexandra stand im Türrahmen und streckte einladend die Hand aus. »Schön, dass du kommen konntest.«
Linda ließ es zu, dass Alexandra sie flüchtig auf den Mund küsste. Statt einer Begrüßung sagte sie trocken: »Ich denke auch, dass wir dringend reden müssen.« Ein Teil von ihr sehnte sich ganz schrecklich nach Alexandras Lippen, ihrer Zärtlichkeit und ihrer Nähe. Auf der anderen Seite war die Ungewissheit, ob sie Melanie glauben sollte, einfach zu groß. Solange das nicht geklärt war, würde es zwischen ihnen stehen und – wieder einmal – ihre Beziehung vergiften. Deshalb nahm sie sich fest vor, eine gewisse Distanz zu Alexandra zu wahren, auch wenn es schwerfiel.
Vielleicht würde sich ja auch alles ganz einfach aufklären und sich als ein großes Missverständnis herausstellen? Alexandra war nicht so kalt und berechnend in ihrer Gegenwart, wie man nach Melanies Schilderungen vermuten müsste. Ganz im Gegenteil, sie wirkte manchmal sogar unsicher, regelrecht schüchtern. Und nach der Geschichte mit ihrem Vater hatte sich schließlich auch gezeigt, dass Lindas Misstrauen nicht gerechtfertigt war . . . Manchmal machte Alexandra es einem aber auch wirklich nicht einfach, ihr vorbehaltlos zu glauben. Zu oft hatte sie sich in der Vergangenheit sonderbar verhalten und dadurch, dass sie einiges verschwiegen hatte, jeden Raum für Spekulationen gelassen.
Seufzend setzte sich Linda auf die Couch – mit genügend Abstand zu Alexandra. Ihre Kehle war trocken.
»Linda . . .« Alexandra griff nach Lindas Händen, und Linda ließ es geschehen. Es fühlte sich viel zu gut an, um sich dagegen zu wehren. Für Stärke war später immer noch Zeit.
»Ich will gar nicht lange um den heißen Brei herumreden, sonst werde ich es am Ende nie sagen.« Linda spürte, dass Alexandras Finger feucht wurden. Alexandra suchte Lindas Blick, räusperte sich. »Also . . . Was ich dir jetzt sagen möchte, habe ich noch keiner Frau zuvor gesagt. Ich . . .« Sie brach ab, biss sich auf die Unterlippe, doch dann holte sie noch einmal Luft und sah Linda tief in die Augen. Als sie wieder ansetzte, klang ihre Stimme fest. »Du bist etwas ganz Besonderes für mich. Du hast etwas in mir ausgelöst, was ich bisher noch nicht kannte. Ich liebe dich.«
»Was?«, entfuhr es Linda. Sie schlug sich die Hand vor den Mund. Um sie herum begann sich alles zu drehen. Hatte Alexandra das gerade wirklich gesagt? Der Schwindel wurde stärker, Linda glaubte von einem Wirbelsturm erfasst zu werden, der sie davontrug . . .
Alexandra sprach weiter, und in ihren Augen lag ein warmer Glanz. »Ich liebe dich so wie ich noch keine Frau zuvor geliebt habe. Du machst mein Leben zu etwas Besonderem. Du . . . du machst mein Leben komplett.«
Linda entzog Alexandra ihre Hände und stand auf. Mit einem Mal konnte sie Alexandras Nähe nicht mehr ertragen. »Das kommt jetzt aber sehr plötzlich«, murmelte sie und drehte Alexandra den Rücken zu. Sie zitterte am ganzen Körper. Das Zimmer drehte sich immer noch, aber wenigstens gaben ihre Beine nicht nach.
Genau die Worte, die sie sich die ganze Zeit von Alexandra gewünscht hatte. Ausgerechnet jetzt . . .
Aber meinte Alexandra diese Worte aufrichtig? Liebte sie Linda wirklich? Diese entsetzliche Ungewissheit raubte Linda fast die Sinne. Hilflos verbarg sie das Gesicht in den Händen.
Eine Hand auf ihrem Rücken zwang sie, sich umzudrehen.
»Was ist los mit dir, Linda?« Alexandra sah fast verzweifelt aus. »Ich dachte . . . ja, was dachte ich eigentlich.« Sie schien mehr mit sich selbst zu sprechen als mit Linda: »Vielleicht, dass du mir um den Hals fällst und meine
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