Mit Jockl nach Santiago
das Stadttor flutet goldgelbes Licht in den Schatten jenseits der Festungsmauern und empfangt uns, erst eingetreten, mit warmer Helligkeit. Gäßchen mit niedrigen, höchstens einstöckigen Häusern gliedern sich um den 33 m hohen, gedrungenen Torre de Menagem, den ein türmebewehrter Mauerring umgibt. Er repräsentiert den Rest eines ehemaligen Schlosses inmitten einer einst fast uneinnehmbaren Verteidigungsanlage, die den Herzögen von Braganga viele Generationen als Stammsitz diente. Darüber hinaus erfüllte die Anlage als mustergültiges Beispiel mittelalterlicher Militärarchitektur in hervorragender Weise seine Aufgabe als befestigter Grenzposten gegen das immer spinnefeinde Spanien.
Ihrer erhöhten Abgesondertheit vom übrigen Braganga verdankt die Oberstadt ein ganz eigenes Leben und einen wesentlich gemächlicheren Tagesrhythmus. Vor den Häusern stehen Stühle und Bänke und Grünpflanzen in bunten Töpfen; Bäume werfen Schatten in unruhigen Flecken an die weißen Fassaden, und aus einem geöffneten Fenster dringen die raumfüllenden Stimmen zweier Frauen im Gespräch. Der gotische Pranger vor der Burg, die barocke Kirche schräg gegenüber, das romanische, sogenannte Ratsherrenhaus gleich dahinter, dörfliche Ruhe, keine Touristen noch sonstige Lebewesen außer einer Siamkatze auf dem Prangersockel - dieses Bild eines Kleinstkosmos in und über Braganga nehmen wir als bleibende Erinnerung mit. Schade, nicht gestern hier gewesen zu sein. Jetzt müssen wir Dampf machen, um unseren heutigen 100-Kilometer-Marathon nach Miranda do Douro zu bewältigen.
Schon beim ersten Schrottplatz außerhalb der Stadt unterbricht Wolfgang unseren Schwung mit einer Fast-Vollbremsung. Der ungewöhnliche Grund diesmal: »Hoitaus, scho wieda a Eicha!« - »Akrat, des is wirklich oana!« Unglaublich, und noch dazu in Portugal. Nach unserer Aufwartung bei der maroden Restkarosserie zwischen Reihen anderer Friedhofskandidaten schlagen wir endlich eine südöstliche Grundrichtung ein und trainieren uns in Langmut und stundenlangem Durchhaltevermögen. Affenhitze, null Schatten, schlechte und schlechteste Straßen mit Baustellen und Teerarbeiten, kilometerweit weder Haus noch Baum, Hügelgebirge von erschreckender Kargheit und darüber ein Himmel von einer durchscheinenden Wässrigkeit, als wär’ dem Landschaftsmaler das Blau ausgegangen. Überhaupt wirken die Farben heute wie ausgeblichen: kraftlos, ohne Intensität, grau! Fast hat man Mühe, das Graubraun der Erde vom Graugrün irgendwelchen Gebüschs zu unterscheiden, alles verschwimmt zu einer undefinierbaren Mischung.
Gut 30 Kilometer nach Bragança gerät Outeiro mit seiner überragenden, imposanten Burgruine und einer auffallend reizvollen Barockkirche am Ortsbeginn unvermittelt zum Blickfang in dieser zeitlosen Wüste. Verwüstet scheint mir auch unser Geist, als wir die vermeintliche Bar mit einem Seniorentreff verwechseln und am Ortsende geradezu mit einer Selbstverständlichkeit wieder eine falsche Abzweigung nehmen. Der daraus entstandene Umweg hält sich in Grenzen, dafür erfreut uns die Straße bald mit der Qualität eines ausgetrockneten Krautackers. Wir sind zu benommen, um uns noch zu ärgern. Portugal dringt in uns ein und räumt auf mit unseren angelesenen, schöngefärbten Vorstellungen einer ursprünglichen, archaischen Landschaft. Auf unserem Weg begegnen wir Menschen, deren verschlossene Mienen schon leichtes Unbehagen verursachen. Sie starren uns aus dunkelbraunen, runzlig gegerbten und ausgezehrten Gesichtern an, ohne den geringsten Anflug eines Lächelns, eines gehobenen Mundwinkels, doch auch ohne Bitterkeit in den Augen. Gesichter, die uns ratlos machen und deren Fremdheit sicher nicht nur von der Physiognomie eines südlicheren Typus herrührt, sondern von einem allgemeinen Ausgegrenztsein dieser Menschen, einem Ausgegrenztsein auch aus der Gegenwart. Ausnahmslos schwarzgekleidete Frauen sitzen auf den Türschwellen ihrer Häuser, Männer lehnen an Fensterbänken, ein Eselskarren quietscht durch die Dorfstraße, und in den steinernen, ausladenden Viehtränken vor jedem Hof hüpfen die Wellen herabplätschernden Brunnenwassers - eine richtige Kalenderidylle, oder? Optisch ja - aber dahinter? Alle Vorbereitung vermittelte uns kein echtes Wissen über Land und Leute, und wir bewegen uns nach wie vor nur auf der Oberfläche, wahrscheinlich sogar darüber.
Langsam aber sicher bewegen wir uns wenigstens auf Miranda do Douro zu. Das verschlafene
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