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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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entwickelnden Hitze ganz zu schweigen. Irgendwo am Straßenrand der verkehrsleeren N122 breiten wir bei einer Pause unser Zelt zum Trocknen aus; augenblicklich verdampft das Wasser, die feuchten Flecken schrumpfen in Sekundenschnelle - und fertig. Das Falten und Einpacken benötigt fast mehr Zeit als das Trocknen selbst. Mittlerweile erzeugt die öde Landschaft auch ein Gefühl der geistigen Leere; man sieht etwas, doch nimmt es nicht bewußt wahr. Man beginnt einen Satz und vergißt ihn zu beenden. Man deutet auf einen Baum, einen Haufen im Feld, einen toten Vogel auf der Straße und kann es nicht mehr benennen - dem dumpfen Geist fehlen einfach die Worte. Allmählich entwickeln wir auch eine Art Notsprache aus Wörtern wie »Dings«, »Dingins«, »Bempl«, »Mugl« und dergleichen, mit denen sich ziemlich viel umschreiben läßt: »Is des Dings nu im Bempl?« meint, ob die Bestecktasche noch in der Proviantkiste liegt. »Host die Dingins scho außadon?« heißt, ob die Zeltstangen schon ausgepackt sind, während »Do host jo e nu neiche Dingins!« die Entdeckung frischer Socken bedeutet. Hingegen weiß jeder von uns, daß mit »Da Bempl geht scho wieda net!« die Blinkbeule zum ungezählten Male nicht funktioniert. »Hügeln« können außer niedrigen Hügeln auch größere Berge, Insektenstiche, gewölbte Deckel verdorbener Joghurts, Unebenheiten unter dem Zeltboden und auf der Straße und noch vieles andere bedeuten. Wie man sieht, führen wir zuweilen auch sprachlich ein sehr einfaches Leben. Ich möchte das aber nicht als allgemeine Sprechmüdigkeit oder schleichende Verblödung diagnostizieren, sondern als rationale Kommunikation über diffizilste Angelegenheiten bezeichnen.
    Nach bald drei Stunden erreichen wir den 1140 m hohen Madero-Paß in der Sierra de Madero, daran sich das Moncayo-Gebirge anschließt mit seinem größten »Mugl«, dem 2316 m hohen Moncayo. Seine markante Erhebung, einige Kilometer rechts der Straße, veranlaßt uns, die Köpfe aus ihrer eingerosteten Geradeaus-Position zu drehen. Ein mächtiger Zinken, der das Landschaftsbild weithin prägt. Nach einer weiteren Fahrstunde erhoffen wir uns mit der Stadt Agreda etwas Abwechslung, doch tauschen wir nur die eine Eintönigkeit gegen eine andere. Die Einwohner haben sich in ihre kühlen Häuser zurückgezogen und die Hitze ausgesperrt, in der wir schlapp herumwanken wie leicht angesäuselt. Dann schon lieber wieder zurück und hopp auf den Jockl. Die ersehnte Abwechslung erleben wir auf den folgenden Kilometern, als wir im Weichbild des Moncayo die Grenze zur aragonischen Provinz Zaragoza überqueren und sich das canyonartige Tal des Río Cailes vor uns öffnet, teilweise unter roter Erde wie Tage zuvor auf dem Ayllón-Paß. Mit jedem Kilometer, den wir uns der Stadt Tarazona nähern, nimmt auch die Kargheit der Umgebung ab, und spätestens ab der Mündung des Río Cailes in den Río Queiles, bricht ein wahrer Grünrausch aus der Erde. Die Fruchtbarkeit des Tales zeigt sich neben einer reichen Feldbewirtschaftung auch in Anpflanzungen von Obstbäumen verschiedenster Sorten. Dieses Grün wirkt nach dem ewigen Graubraun und Blaßocker wie Balsam in den Augen. Auch Tarazona belebt die Sinne. Ihre herrliche Türmesilhouette findet nicht so schnell ihresgleichen, ebenso die große Zahl mudejarer Baudenkmäler, die die Stadt in einen sehr morgenländischen Touch hüllen. Noch immer scheint sie von der Atmosphäre eines mittelalterlichen Spanien durchdrungen, in dem ein Konglomerat aus Christen, Juden und Mauren ein Stück Geschichte lebte, deren Spuren wir nicht müde werden zu verfolgen.
    In einer Affenhitze - und das kurz vor 18.00 Uhr - wandern wir durch Tarazonas steile Gassen, keuchen die Stiegen zum Bischofspalast hinauf, von dem sich ein super Blick über die Stadt und über den Río Queiles zur Kathedrale bietet. Ganz entgegen meiner sonstigen Vorliebe für schlichte Architektur mit möglichst wenig Aufputz macht diesmal das Rathaus, die Cosa Consistorial, das Rennen: ein nobler, wappengeschmückter Bau aus dem 16. Jahrhundert mit einer reliefreichen Fassade, Baikonen und einer ganz fantastischen Galerie im zweiten Stock, die sich über die gesamte Länge des Bauwerks erstreckt. Die Stadt besitzt Persönlichkeit und Charme; was uns allerdings etwas irritiert, ist das Fehlen eines Zentrums, einer großen Plaza oder einer weiten Esplanade als magnetische Mitte, wo sich das Stadtgeschehen konzentriert. Zwar existieren genügend kleinere

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