Mit Jockl nach Santiago
Schleuse geräuschlos hinausgleiten, als sei nichts geschehen. Auf dem trägen Wasser des Canal du Midi schwimmen sie schließlich mit Kind und Kegel, Hund und Fahrrädern an Bord wie weiße Nußschalen davon - eine richtige Urlaubsflotte.
Der noch am Morgen verschleierte Himmel lüftet sich zu klarem Blau und begleitet uns auf unserer Fahrt durch die Montagne Noire - die Schwarzen Berge - die eine gute Stunde nördlich von Carcassonne mit ersten Vorboten ihrer dunklen Wälder aufwarten. Die Luft erwärmt sich bald zu spätsommerlichen Temperaturen, doch im Schatten sitzt ungerührt anklingende Herbstkühle. In manchen Bäumen schimmert ein erstes verräterisches Gelb. Doch mag man es gerne noch als Laune der Natur oder optische Täuschung abtun, als einen herbstlichen Gruß. In dünn bis gar nicht besiedeltem Gebiet steigt die D118 langsam auf knappe 800 m an. Auf dem einen oder anderen hübschen Flecken entlang der Straße halten wir zu kurzen Pausen. Immer wieder entdecken wir dabei kleine Kostbarkeiten in Flora und Fauna: Wuchsanomalien von Bäumen, schrillfarbene Raupen, schillernde Käfer, Frösche, Schlangen, Libellen und mehrmals sogar Gottesanbeterinnen, ein Wunder an giftgrüner Gestelztheit. Kurz nach der Grenze zwischen den Departements Aude und Tarn beginnt das Gekurve hinunter nach Mazamet. Das enge Tal der Amette rechts der Straße mit ihrem bezaubernden Örtchen Hautpoul dominiert die Aussicht im letzten Drittel unserer Talfahrt, bevor wir am Fuße der Schwarzen Berge wieder in die Zivilisation eintauchen und uns in Mazamet die Beine vertreten. Im städtischen Tourist-Office besorgen wir uns Infos über die Region, die wir bei Kaffee und Kaugummi je nach Brauchbarkeit gleich aussortieren.
Durch die Alleen der N112 nach Castres nimmt uns 17 Kilometer lang reichlich Verkehr in die Klemme. Den krönenden Abschluß dieser anstrengenden Etappe meistern wir in einem ausgeschilderten, unnötig umständlichen Umweg zum Campingplatz. Da wollte wohl einer die Gutgläubigkeit und Geduld der Ortsunkundigen testen. Sei’s drum - das vorbildliche Camp verdient trotzdem Lob.
Heut’ packen wir es ganz schlau an - glauben wir - und stöpseln uns anhand von Stadtplan und Straßenkarte eine Abkürzung zurecht, um uns größere Umwege zu sparen. Doch in der Praxis sieht der Start aus Castres ähnlich wege- und zeitaufwendig aus wie die Ankunft. Lust und Interesse das Goya-Museum zu besuchen, hat uns schon gestern nicht sonderlich geplagt, also vergessen wir die Stadt, sobald wir wieder die N112 unter den Reifen spüren und auf dieser ohne weitere Abweichung Richtung Albi steuern. Nach fast vier Stunden durch Alleen und Hügelland mit einer längeren Pause in der urigen Bastide Realmont nähern wir uns dem Einzugsgebiet von Albi. Vermehrter Verkehr lenkt unsere Aufmerksamkeit von der Umgebung zusehends ab. Gleichzeitig überkommt mich aufgeregte Spannung, die in leichten Ansätzen schon am Morgen spürbar war. Albi! - Seit meiner Schulzeit mit dem Lehrstoff über Impressionismus eingeimpft, spukt dieser Ort immer wieder mal durch meine Gedanken. Als Geburtsstadt Henri Toulouse-Lautrecs, meinem damaligen Favoriten unter allen Malern, besaß Albi für mich allein als gesprochenes Wort schon einen verheißungsvollen Klang. Nach weit über 20 Jahren hat er nichts von seinem Zauber verloren und ich freue mich auf diese Stadt wie auf ein ganz besonderes Ereignis.
Da wir vom Süden kommen, bleibt uns die großartige Stadtansicht samt Kathedrale über dem Ufer des Tarn vorerst noch verwehrt. Erst als wir bereits Stadtgebiet befahren, taucht der markante Kathedralenturm über den Dächern der Altstadt für einen kurzen Augenblick auf. Jetzt wissen wir wenigstens wo es langgeht - einmal links und einmal rechts abgebogen, und - WAUUU - augenblicklich schnellt unsere Fassungslosigkeit ins Uferlose. Vor uns strotzt die stolze Imposanz der Kathedrale von Albi, mehr Festung als Kirchenbau, mehr der Weltlichkeit zugetan als der Ehre Gottes. Fast prallen unsere Blicke an ihrer Mächtigkeit ab, und gleichzeitig können sie sich kaum davon lösen. Wie hypnotisierte Karnickel steuern wir an ihrer Längsseite entlang und vergessen dabei ganz, nach einem Parkplatz Ausschau zu halten. Nicht oft, daß uns beide ein Bauwerk schon beim ersten Anblick dermaßen in Bann hält. Hier bestätigt sich wiederum unsere eindeutige Vorliebe für Architektur pur, schnörkellos und ohne Raffinessen. Doch die Kathedrale von Albi begeistert in
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