Mit Jockl nach Santiago
mehrerlei Hinsicht. Erstmal besteht sie zur Gänze aus Ziegelstein, ein sehr selten verwendetes Baumaterial für eine Kathedrale, allein das kräftige Ziegelrot wirkt dabei schon fast exotisch. Weiters verzichtete man bei dem im 13. Jahrhundert begonnenen Bau auf die in der Gotik unerläßlichen Strebepfeiler und verstärkte und stützte die Wände des hohen Langhauses stattdessen mit regelmäßig im Mauerwerk integrierten Halbsäulen, eigentlich ähneln sie schon halben Rundtürmen, die der Kathedrale auch ihren wehrhaften Charakter verleihen. Das Dach verbirgt sich komplett hinter den zu Giebelhöhe hochgezogenen Außenmauern, was den burghaften Eindruck zusätzlich unterstreicht. Und über allem erhebt sich, ja wächst ein kolossaler Turm in schwindelerregende Höhen, der alles sein könnte, nur kein herkömmlicher Glockenturm; über quadratischem Grundriß verjüngt er sich über mehrere Abschnitte nach oben hin zu einer achtseitigen Spitze, überdimensionale wulstige Rundungen an den Ecken und eine außen verlaufende gemauerte Wendeltreppe, die wie ein Rohr am Glockenturm klebt, erhöhen den kuriosen Reiz des Ganzen. Zusammen mit dem Erzbischöflichen Palast, gleich hinter der Kathedrale und dessen befestigten Anlagen, die bis hinunter zu den Wassern des Tarn reichen, stellt dieses bauliche Ensemble den unbestrittenen Mittelpunkt der Stadt dar. Die schlichte Eleganz der klaren Formen eines glatten, schmucklosen Ziegelmauerwerks im Zusammenspiel mit einer streitbaren Ausstrahlung heben die beiden Bauten eindrucksvoll aus der Intimität der Altstadt. Diese bezaubert wiederum mit ihren heimeligen Gassen, den vornehmen Stadtpalais und den malerischen Häusern mit ihren zur Front offenen Obergeschossen, die in früherer Zeit zum Trocknen des Korns bestimmt waren. Albi hat uns schon erobert, da hängen die Leckerbissen der Stadt noch ungesehen im Museum. Und gerade sie, die Werke Toulouse-Lautrecs, waren der vorwiegende Grund für unseren Besuch. Doch wie so oft erweist sich, nachträglich gesehen, die Vorfreude als die größte. Und die endet kurz nach dem Eintritt ins Toulouse-Lautrec- Museum hinein in die Muffigkeit schlecht gelüfteter und miserabel ausgeleuchteter Räume mit knarrenden Böden. Das Museum befindet sich im Bischofspalast, und der erste Eindruck ist der eines unbedeutenden Provinzmuseums, welches in gutgemeinter, doch dilettantischer Weise mit den Produktionen eines drittrangigen, lokalhistorischen Künstlers kulturelle Repräsentationspflichten zu erfüllen versucht. Lautrecs Werke büßen in diesem ungeeigneten Interieur viel ihrer farbfeurigen Ausstrahlung ein. Und nebenbei bemerkt: Wie brachte man es fertig, seinen unkonventionellen Pinselschwung in derart gräßlich barocken Schwulst zu rahmen? - Wieso gewährt man über einen bahnbrechenden Künstler wie ihn, einem Nachfahren der mächtigen Grafen von Toulouse, so wenig biografische Einblicke? - Außerdem, wie liest man die Bildunterschriften zu den jeweiligen Werken am besten: mittels eines mitgebrachten Feldstechers oder auf den Knien durch die Säle kriechend, um dem Geschreibsel in Augenhöhe zu begegnen? - Auch vermisse ich eine eindeutigere chronologische Abfolge, ein offensichtlicheres System in der Hängung der Gemälde, Zeichnungen, Lithographien, Radierungen und Plakatentwürfe. Und wenn schon nicht das, so würde ein mehrsprachiger Begleittext durch das Museum manche Ungereimtheiten aufklären. Daß viele Werke Lautrecs im Original wie billige Reproduktionen seiner in Kunstbänden und Hochglanzmagazinen abgebildeten Bilder wirken, daran trägt größtenteils sicher die falsche Ausleuchtung der Räumlichkeiten schuld oder die zu gute der Fotografen oder die zu effektvollen Farbauffrischungen der Druckereien oder was auch immer. Doch was spricht mich nun wirklich an: das Original der porträtierten Misia Sert im Museum oder daßelbe Bildnis auf dem Titel eines meiner Bücher? Ich weiß mir keine Antwort darauf, auch deshalb Grund genug, um mich am Ende unseres Museumsbesuches gleichermaßen verunsichert wie enttäuscht und meiner Hochglanzillusionen beraubt zu fühlen. Trotzdem - Lautrec war ein absoluter Könner und Kenner. Ein Kenner des Lebens und seiner abstrusen Facetten, ein Erkenner, ein Kenntnisreicher, ein Clown, der andere zum Lachen brachte. Und sich selbst? - trieb er ohne Unterlaß einem vorzeitigen Abgang aus dem Leben entgegen.
Auch wir nähern uns einem Abgang, die Etagen hinunter und hinaus aus der drückenden
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