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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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erwachen die ausgekühlten Lebensgeister, und wir sparen nicht mit unseren Gaskartuschen, um unser Zelt zumindest für einige Stunden in eine warme Höhle zu verwandeln.
     
    Aus einem schlechten Traum stürze ich direkt auf meine Iso-Matte herab. Noch ganz benommen von dem Aufprall luge ich durch einen Spalt im Zelt hinaus in den frühen Morgen. Nanu?! - Ich sehe nichts! Irritiert stecke ich den Kopf ganz durch die Öffnung. Nichts! Ich schaue buchstäblich in milchigweißes Nichts - keine Bäume und auch keine Zeltnachbarn. Im ersten Moment bringt dieses Nichts zusammen mit den Nachwirkungen des Traums mein Zeitgefühl und Erinnerungsvermögen vollständig durcheinander. Krampfartig forsche ich nach dem Namen des Ortes, in dem wir uns hier befinden, und obwohl es ja das Naheliegendste wäre, dieses milchige Nichts als dichtesten Nebel zu entlarven, bin ich zu solch logischen Schlußfolgerungen erst nach einem kurzen geistigen Blackout fähig. Ein Nebel, so dicht, um ihn in Scheiben schneiden zu können, zieht mich richtiggehend in ein Jenseits von Zeit und Raum, und für einen Bruchteil dieses Blackouts fühle ich mich als ein nicht erfaßbares Pünktchen in der Unendlichkeit. In der Realität reicht diese Unendlichkeit jedoch nur bis knapp vor die Waschräume, die vor mir auftauchen wie eine heranschwebende Raumstation. Ein utopischer Morgen!
    Spätestens beim Frühstück hat uns, beziehungsweise mich, die Erde wieder und damit die Planungen für diesen Tag. Schon gestern war klar, daß wir in Brioude eine zweite Nacht verbringen würden, jetzt müssen wir nur noch unsere diversen Besuche in die Reihe bekommen. Das Wetter sieht nach Auflösung des Nebels bestens aus, auch wenn ein kalter Wind den Aufenthalt im Freien alles andere als gemütlich macht. Schon bei der Fahrt in die Stadt wechseln unsere Nasen und Ohren die Sonnenbräune gegen leuchtende Sibirienröte. Der vormittägliche Aufenthalt in Brioude entspricht allerdings nicht ganz unseren Erwartungen. In der sonntäglichen Langeweile der Stadt wandern wir ziellos herum; wir vermissen ein Zentrum, einen Mittelpunkt, der das Stadtgeschehen an einer markanten Stelle konzentriert. Auf der Suche nach diesem Platz, den es schließlich nicht gibt, verzetteln wir uns in grauen Seitenstraßen und Sackgassen und geraten immer wieder mal auf die Hauptstraße, die wir eigentlich meiden wollten. Gewiß, es gibt einige kleinere und größere Plätze, aber ihnen allen fehlen die repräsentativen und ökonomischen Voraussetzungen um die Aufgabe eines Stadtzentrums zu erfüllen. Die Basilika Saint-Julien stellt zwar als Brioudes Topattraktion einen architektonischen Höhepunkt dar, doch gerade sie - die größte romanische Kirche der Auvergne - fristet ihr imposantes Dasein eingekeilt zwischen einer Reihe von Wohnhäusern, die eine angemessene Distanz zum Betrachten ohne Genickstarre unmöglich machen. Lediglich hinter dem Chor verdankt man einem Parkplatz - wie sinnig - den nötigen Abstand für ein Foto vom Boden bis zur Turmspitze, selbstverständlich immer mit einigen Blechkarossen im Bild. Insgesamt betrachtet vermißt man an der Kirche mit ihrem die Stadt überragenden Vierungsturm ein gewisses Maß an Harmonie. Irgendwie wirkt sie befremdlich; unübersehbar mangelt es ihr an einem einheitlichen Guß. Dies begründet sich einerseits in der langen Bauzeit der Basilika von über 200 Jahren, andererseits im farblichen Kunterbunt des verwendeten Baumaterials; in den Grundton eines aufgehellten Brombeer mischen sich einzelne Steine oder Steingruppen aus Hellgrau, Beige, schmutzigem Ocker, dunklem Altrosa und stumpfem Ziegelrot wie notdürftiges Flickwerk. Alles in allem ein sehr eigenwilliges Gotteshaus. Die Innenbesichtigung verschieben wir auf später, da wir eine gerade stattfindende Messe mit unserem Herumwandern nicht stören wollen.
    So machen wir uns unverzüglich auf die Socken in einen Ort, elf Kilometer südöstlich von Brioude, wo wir in einem abgeschiedenen Tal das äußerst sehenswerte ehemalige Kloster von Lavaudieu besuchen wollen. Abgesehen von den schneidend kalten Windattacken erleben wir auf dem Weg eine zauberhafte Frühherbststimmung. Zu Anfang, noch von der Hauptstraße aus, bietet sich ein toller Blick gegen den Nordwesten zu der Kette der Puys; später, als wir nach der schmalen, unauffälligen Abzweigung durch einen prächtigen Laubwald im Herbstkleid erster Blätterfärbung hinunter ins Tal von Lavaudieu kurven, überrascht uns der

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