Mit Jockl nach Santiago
Fleckchens Natur. Der Blick rundherum in die bewaldete Hügellandschaft der Vogesen stimmt heiter, dazu bedürfte es nicht einmal der Kuckucksrufe, die sich in die letzten verhallenden Glockenschläge des Mittagsgeläutes mischen. Ein paar Besucher streifen durch das ungemähte Gras rund um die Kapelle; auch sie genießen sichtlich die Einmaligkeit dieses Ortes und der Stille, in die man sich bis in die massiven Mauern von Notre-Dame hineindenken möchte, um vielleicht irgendwann bei Le Corbusier anzugelangen und seiner räumlichen Verwirklichung einer Insel der Weltentrücktheit.
Wenn auch wir wieder wo angelangen wollen, so müssen wir uns auf die Reifen machen. Harmonie begleitet uns aber auch weiterhin in Form von sanften Hügeln, sich im Wind wiegenden Blumenwiesen, Margeritenmeeren, Mischwäldern, weidenden Kühen, Schafen und Pferden. Südlich vorbei an der Stadt Lure und weiter bis Vy-les-Lure, wo wir auf die gänzlich autofreie D13 abbiegen - freie Fahrt für Jockl!
Der Ort Mollans schließlich reißt uns wieder aus unserem Kitschkalenderfeeling Eine verkannte Schönheit, die wir da entdecken; ein Ort mit keineswegs verborgenen Reizen, nur abseits jeglichen Geschehens existierend und deshalb im Heer namenloser Provinzdörfer schlummernd und nur gelegentlich von einem Durchreisenden seiner Attraktivität gewürdigt. Fast mittelalterliche Ansichten und Hinblicke, eine kurvige Dorfstraße, eine Landkirche, sauber und hell mit wenig Aufputz und als Herz der Dörflichkeit eine in ein längliches Bassin gefasste Quelle mit einem klassizistischen Überbau im Stil einer nach drei Seiten hin offenen Säulenhalle. Die Schwalben schießen im Tiefflug in den Schatten der Halle hinein auf das Wasser nieder, tanken davon eine Schnabelladung auf und steigen wie Löschflugzeuge auf der anderen Seite wieder in den blauen Nachmittag hinauf. Das unruhige, sonnenglitzernde Wasser projiziert ein schimmerndes Wellenspiel an die hölzernen Dachbalken, und wäre da nicht das pausenlose Schwalbengetschilpe und ein krähfreudiger Gockel in der Nähe, so könnten dieses bewegte Lichtergeviert unter dem Dach und das beruhigende Geplätscher der Quelle uns richtiggehend in Hypnose abtauchen lassen. Als wir unseren Weg fortsetzen, fühle ich mich tatsächlich ein wenig meiner selbst entglitten, und es bereitet mir fast Schwierigkeiten, wieder zu mir zu kommen. Sogar Jockls Krach dringt nur gedämpft an meine Ohren.
Spätestens vor Vesoul bin ich wieder meiner Herr - eine kleine Stadtdurchfahrt steht an. Meine Nerven spannen sich und auch mein Kreuz. Bei Vaivre lassen wir allen städtischen Rummel wieder hinter uns und biegen in Pontcey für die nächsten Kilometer in die unerwartet anheimelnde Flusslandschaft der Saône ab. Die Orte Chemilly und Vauchoux nötigen uns jeweils zu einem kleinen Halt, denn die Entenidyllen am Fluss vor der Kulisse einer Burg und die Saône in ihrer verzweigten, trägen Schlängeligkeit können wir nicht nur im Vorbeifahren registrieren. Diese Hinterlandtouren erweisen sich meistens als kleine Überraschungen und bieten darüber hinaus nahezu null Verkehrsaufkommen, abgesehen von einem Traktor vielleicht, einigen Radfahrern oder einem einsamen Räupling (Schmetterlingsraupe), der die Straße queren möchte.
In Port-sur-Saône mündet unser gemütliches Landsträßchen wieder in die N19- E54 ein. Zuvor biegen wir auf die ausgeschilderte Saône-Insel ab; dort befindet sich ein groß angelegtes Sport- und Freizeitzentrum und auch ein Campingplatz. Wir checken ein und statten dem Städtchen anschließend einen Besuch ab. Jausenbrote verschlingend, spazieren wir entlang des Flusses in den Ort, besichtigen die Kirche, in die uns nach draußen dringende Orgelklänge locken und lenken unsere Schritte mit schlafwandlerischer Sicherheit ins Angegammeltenmilieu einiger alter Häuser, worin wir uns ja immer wohlfühlen wie der Archäologe zwischen Knochenfunden im Erdloch. Zurück am Campingplatz plündern wir unseren Proviant bis auf den letzten Müsliriegel; heute könnten wir fressen wie die Wikinger. Sämtliche Plastiksäcke noch einmal durchgeraschelt, fördern noch die Reste eines gummiartigen Baguettes von gestern zutage. Auch dieses, mit etwas Senf geschmacklich verfeinert, mundet vorzüglich. Morgen wird ein Großeinkauf fällig!
Die halbe Nacht läßt uns eine anwesende Jugendgruppe an ihrem lärmenden Übermut teilhaben, und die paar Stunden bis zum taunassen Morgen kriecht die Kälte unaufhaltsam von
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