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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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den Ohren bis zu den Zehen und wieder zurück. Bis zum ersten Hahnenschrei dürfte meine körpereigene »Auflagefläche« auf der Iso-Matte auf das Ausmaß eines Lineals geschrumpft sein, und jeder Kontakt mit allem außerhalb dieser Miniaturfläche kostet mich immense Überwindung. Zum Höhepunkt dieser und vieler anderer morgendlicher Kältetorturen gerät zweifellos immer das Anziehen unserer klammen und oft genug auch feuchten Jeans. Da hilft auch kein Vorwärmen, diese bocksteifen Dinger haben die Kälte absorbiert und gedenken, sie erst wieder an unsere Haut abzugeben. In zirkusreifen Darbietungen und mitunter unmenschlichem Geheul winden wir uns dann in die gehassten Tiefkühl-Röhren. Der dabei in immer gleichem Tonfall der Überzeugung hervorgepreßte Satz: »Genau des is Ualaub, i steh drauf!« beendet mit einem Schwung aus der Horizontale den Tagesabschnitt »Erwachen«.
    Aber wenigstens kaum ein Morgen ohne frisches Baguette, besser gesagt ohne die beiden Brotscherze - je knuspriger, je splittriger und verbrannter, desto mehr kann ich davon vertilgen. Meine gefolterte Zungenspitze weiß davon ein blutiges Lied zu singen. Auch dieser Morgen beginnt für uns offiziell in der örtlichen »boulangerie« (Bäckerei), wo wir mit wässrigen Mündern Stangenbrote, Croissants und Plundergebäck für unsere Wegzehrung auswählen und uns gleich auf den wenigen Metern zum Jockl darüber hermachen.
    Nach einem Café suchen wir umsonst, also schleusen wir uns gleich ins Verkehrsgeschehen ein, das wir heute ziemlich hektisch und Lkw-reich erleben. Während der ersten Kilometer verdrücke ich, Ordnung muß sein, noch alles an übriggebliebenen Backwaren und beobachte, wie sich innerhalb weniger Viertelstunden mein Bauch auf den fünften Schwangerschaftsmonat aufbläht. Ein Wunder, daß ich nicht abhebe und wie ein Heißluftballon vor dem Jockl herschwebe. Trotz innerlicher Befeuerung beginnt mein Korpus nach einer guten Stunde äußerlich zu erstarren; auch Wolfgangs Gesicht und Hände röten sich ein. Die Fahrtwindtemperaturen haben es in sich, und obwohl die Sonne scheint, plumpsen wir 37 Kilometer weiter in Fayl-Billot wie Gefrierfleisch vom Traktor. Ein unablässiger Wind treibt uns fürs erste in die Kirche des Ortes, einem gotisch angehauchten, hellen Bau am höchsten Platz von Fayl-Billot. An ihr interessiert mich wirklich nur die Möglichkeit, mich für einige Minuten aus dem Windkanal zu retten. Nicht nennenswert aufgetaut durchqueren wir mit einiger Ausdauer den ausgedehnten, nahezu menschenleeren Ort, in dem augenscheinlich nur eine Dachdeckermannschaft wohnt. Fehlschlag, auch im Café, am großen, mit einigen stattlichen Fassaden gesäumten Marktplatz, spielt sich Leben ab. Drei Männer vor der Theke, eine Frau dahinter - damit hätten wir nicht mehr gerechnet. Und jetzt noch wir beide dazu - unglaublich, der Ort füllt sich. Wir schütten den heißen »Café au lait« (Milchkaffee) in Rekordtempo hinunter, mustern das herrlich verlebte Mobiliar und wagen uns schließlich wieder nach draußen, zurück zur Kirche, wo Jockl auf uns wartet.
    Knappe zwei Fahrstunden trennen uns noch von Langres, und die Zeit bis dahin verrinnt gähnend langsam. Noch dazu bietet die Landschaft keinerlei Abwechslung. Monoton rattern wir auf der geraden Straße dahin, ständig neben Fahrzeugen auf Überholkurs, und da auch keine Ortschaften am Weg liegen, stieren wir schon ins Leere, als endlich 12 Kilometer vor Langres die ersten Umrisse der Stadt erkennbar werden. Ab da hat das Auge einen Fixierpunkt, der wunderbar dem Zeitvertreib dient, denn das Plateau von Langres, auf dessen Ausläufer sich die Festungsstadt erstreckt, rückt schnell näher, unverkennbar bekrönt von den beiden wuchtigen Türmen einer imposanten Kathedrale.
    Sechs Kilometer vor der Stadt zwingt uns die Kälte nochmals zu einer kurzen Pause, danach biegen wir rechts zum Lac de la Liez ab, an dessen Ufer ein herrlicher Campingplatz liegt. Ausgesprochen freundlich werden wir von der Dame des Platzes empfangen, welche, traktorinteressiert und bemüht, englisch zu sprechen - ein absoluter Glücksfall im oftmals geradezu ausnahmslos »französischen« Frankreich - unsere Daten aufnimmt. In Windeseile pflanzen wir unser Zelt in die Wiese mit Blick auf die Wellen des Sees und das waldbestandene Ufer gegenüber.
    Langres’ unmittelbare Nähe wirkt wie ein Magnet, denn trotz eines langen Fahrtages und kalten Windes zieht es uns in die Stadt hinauf, die hoch über den

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