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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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Flüssen Marne auf der einen und Bonelle auf der anderen Seite trutzig und uneinnehmbar wirkt. Doch hat man die Steigung hinter sich, öffnet eine bunte und sehr lebendige Stadt ihre Pforten. Ein kompaktes Städtchen zum Wohlfühlen, das uns gleich nach den ersten Minuten ihrer Bekanntschaft veranlasst, einen weiteren Tag hier zu verbringen. So können wir jetzt ohne Stress die Zeit vertrödeln, lassen uns auf der drei Kilometer langen Stadtmauer die letzte Wärme aus den Anoraks pusten, erledigen endlich unseren dringenden Lebensmitteleinkauf, darunter die g’schmackigsten »sables« (große Mürbteigtaler) unseres ganzen Urlaubs. Davon verstehe ich mehr, als von Jockls Motorik denn nahezu sämtliche Boulangerien, die unsere Wege kreuzen, unterziehe ich dem Sable-Test. Schmecken die Sables, kann man die Bäckerei weiterempfehlen, denn mit guten Baguettes und Croissants kann sich bald einmal eine Backstube rühmen, obwohl wir auch hier eine Klassifizierung treffen könnten. Auf jeden Fall warten für den nächsten Tag genügend Bäckereien und auch andere Sehenswürdigkeiten auf uns.
    Unter neugierigen Blicken, da wir den Jockl wieder nur unter sklaventreiberischen Axthieben zum Anspringen bewegen können, holpern wir auf der steingepflasterten Straße talwärts und hinaus zum Lac de la Liez. Völlig ausgelaugt und mit einem ausgeleierten Kreuz, dessentwegen wir morgen auch ganz gerne einen »traktorfreien Tag« einschieben, krieche ich lädiert auf die Matte. Den Sonnenuntergang am See nehme ich nur noch nebenbei wahr, zu sehr beschäftigt mich meine zunehmende Bewegungseinschränkung.
     
    Der Wind hat nachgelassen, und erste Sonnenstrahlen netzen unser Zelt mit etwas Wärme. Feiertag! - Ausschlaftag! Und während Wolfgang noch einen Festmeter Holz niedersägt, bereite ich unser opulentes Frühstück vor mit allem, was die Proviantkiste hergibt. Spätestes dann beginnt auch unser beider Lieblingsritual: das »Zwei-Minuten-Spiel«. Wolfgang beherrscht es perfekt wie ein Schachgroßmeister. Ich eröffne die Partie, indem ich Wolfgang wecke, und er mehr traumverloren als wach etwas von »nua no zwoa Minutn« in seine Decke brummt. Fünf Minuten später derselbe Vorgang nochmals, und wieder fünf Minuten später nötige ich seinen verschlafenen Gehirnzellen einen ganzen, mehr oder weniger durchdachten Satz ab. An der Reihenfolge der einzelnen Worte erkenne ich das Stadium seines Erwachens. Wenn er auf die Frage »Mechst Mamelad oda Honig aufs Bagett?« nur mit »Wea?« antwortet, so sieht die Sache denkbar schlecht aus, und die zwei Minuten werden zu Viertel- und Halbstunden gedehnt. Ein Martyrium, wenn uns ein langer Fahrtag ins Haus steht und ich den Großmeister mit nichts zum Verlassen seiner Bettstatt bewegen kann. Und obwohl ich das Spiel zwangsläufig gewinne, und sei’s auch erst am Nachmittag, bin ich es, die sich schachmatt gesetzt fühlt. So manche gereizte Tagesstimmung nimmt in diesen morgendlichen Querelen ihren Anfang. Gott sei Dank können wir die Stunden heute großzügig verprassen. Solange es meine übervolle Blase gestattet, bleibe ich im Zelt, denn draußen höre ich schon wieder, wie meist auf den Campingplätzen, Traktor-Interessierte um den Jockl schleichen. Und ich hab’ nicht die geringste Lust, Rede und Antwort zu stehen, noch dazu womöglich im Zehn-Worte-Französisch. Aber irgendwann muß ich ja raus, und die Falle schnappt zu:... ja, man wäre die ganze Strecke mit dem Traktor gefahren... nein, der Traktor ginge nicht schneller als 20 km/h... ja, man wolle es bis Portugal schaffen... nein, der Traktor sei nicht älter als 29 Jahre... ja, es sei schon etwas anstrengend... nein, wir hätten kein Dach, wenn es regnet... ja, die Kiste sei selbst gezimmert... nein, wir seien nicht aus Deutschland, nur der Traktor sei dort gemeldet, wir selbst kämen aus Österreich, Salzburg. - Antwort: »Ouh, Mouzart!?« Sind dann unsere Mitcamper informiert, kann der Tag beginnen.
    Eine leichte Brise kräuselt die Wasseroberfläche des Sees zu kleinsten Wellchen, die ihr hunderttausendfaches Sonnenglitzern verheißungsvoll zu uns heraufsenden. Doch zum Baden in dem Eismeer kann man mich bestimmt nicht überreden, lieber wasche ich etwas Wäsche und genieße ein Stündchen Seefrieden in der Sonne, lausche den Vogelstimmen und beobachte das Schattenspiel der Blätter auf unserer Zeltplane. Wind streichelt die halblangen Grashalme, und diese wiederum kitzeln mir um die Beine. Schmetterlinge, Bienen und

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