Mit Jockl nach Santiago
Abwechslungsreiche Landschaft mit den Cantal-Bergen am Horizont, weiten Tälern und Blumenwiesen, Edelkastanien und Linden in den Alleen, rotlockenden Kirschbäumen in den Gärten der wenigen Häuser, Glockenblumen und Steinnelken am Wiesenrain gestalten die Fahrt kurzweilig. Nach zwölf Kilometern biegen wir auf ein einsames Sträßchen nach Saint-Bonnet-de-Salers ab, ein ebenso einsames Dorf mitten in der Vergessenheit. Kurz danach werden die ersten Türme von Salers sichtbar. Ich kenne zahlreiche traumhafte Abbildungen der Stadt und bin folglich schon ganz flattrig vor Neugier. Eine erste herbe Enttäuschung erleben wir jedoch noch vor der Stadt; dort stehen - oh Graus - in Reih’ und Glied die Busabordnungen diverser Reiseunternehmen. Ich bin geschockt; gleichzeitig schimpfe ich mich einen naiven Dusel. Wie konnte ich nur annehmen, daß ein kultureller Höhepunkt wie Salers, ein wahres Schmucksteinchen unter mittelalterlichen Städten, wie ein blasses Pflänzchen im Verborgenen blühen würde. Unsere negativen Befürchtungen bestätigen sich bis zum letzten billigen Abziehbildchen mit Salers Türmchenkulisse darauf. Pseudo-Kunst, Kitsch und Nepp an allen Ecken. Zugegeben, das Städtchen zeigt sich gut in Schuss, sauber, ohne Spinnwebenambiente, trotzdem kann ich mich nicht mehr so recht begeistern. Selten eine Stadt mit nahezu so vollständig erhaltengebliebener Bausubstanz; man wandelt praktisch in purstem Mittelalter und Blicke auf die türm- und giebelreiche Dachlandschaft könnten einen allein schon gut und gerne ein, zwei Filme kosten. Aber lieber sehe ich mir die Stadt jetzt auf Packen von Ansichtskarten an, als genervt hinter Kaffeetanten herzulatschen oder mich durch von Regenschirmen geführte Horden von Reisegruppen zu quetschen. Schade um die herrlichen Häuserensembles und das trotz allem irgendwie verträumte Stadtbild. Ein letzter Blick hinunter ins Tal der Maronne - Salers liegt ja sehr exponiert auf einer Felsnase 300 m über dem Talboden - und dann Abflug!
Um unserem Ausflug Rundfahrtcharakter zu verleihen, wählen wir die nördlich verlaufende D22 für unseren Weg zurück nach Mauriac. Dort erwartet uns der Reifenhändler, wie befürchtet mit keinen Neuigkeiten: Jockls Reifendimension ist in Frankreich nicht lieferbar. - Kismet! - Na, vielleicht in Spanien.
Der Geschmack von knusprigen Butter-Croissants klebt noch am Gaumen, und Mauriac liegt bereits hinter ersten Hügeln versteckt, als Wolfgang mitten auf der leeren Straße zu einer eleganten Kehrtwendung ansetzt »Wos isn los?!« frage ich irritiert aus meinem Straßenkartenstudium gerissen. »Jo siagst net- a 16er-Eicha!« kommt es überschäumend begeistert zurück. Tatsächlich! Gleich neben dem Straßenrand bläut unverkennbar unter einer Reihe anderer Traktor-Oldies ein Eicher-Veteran heraus. Der bessere Schuppen, vor dem dieses spärlich bestückte Freilichtmuseum dahinrostet, stellt sich dann lustigerweise tatsächlich als ein Miniaturmuseum für landwirtschaftliche Maschinen und Gerätschaften heraus - leider geschlossen. Ein Eicher in Mauriac, so ein Zufall. Wir belagern das kleine Areal mit unserer Neugier, und Wolfgang widmet sich den Ackerrossen in nahezu kriminalistischer Tatortfotografie. Wann und vor allem wie dieses alte Eicher-Gefährt bis in die Berge des Cantal gelangte, bleibt für uns natürlich ein Rätsel; bestimmt gäbe es eine interessante Geschichte dazu, eine Traktor-Biographie sozusagen.
Ein frisches Windchen unter matter Sonne begleitet uns durch das Auze-Tal und hinauf zum kleinen Weiler Ally auf einer kaum besiedelten Hochfläche, weiter nach Pleaux, wo zuvor eine alte Straßentrasse zwischen Farnen und üppigblühendem Heidekraut zu einem Picknick einlädt. Kurz vor Saint-Julien-aux-Bois rollen wir über die Regionsgrenze ins Limousin hinein und verlassen im Ort selbst die direkte Verbindungsstraße nach Argentat, unserem geplanten Tagesziel und tauchen für die nächsten 22 Kilometer in noch größere Einsamkeiten ein. Eine zeitlose Landschaft zum Ausruhen; Wiesen und Wälder, wie sie vielleicht schon vor hundert Jahren in dieser Art das Landschaftsbild prägten. Etwas einsilbig lassen wir die Szenerie auf uns wirken, und erst bei Saint-Cirques-la-Loutre, einem properen Dörfchen am Eingang ins Tal der Maronne, weicht die beschauliche Monotonie einer gewissen Spannung. »Fahrverbot für Pkw mit Wohnwagen« steht bei der Abzweigung zu den Tours de Merle zu lesen. Eine enge, sehr kurvige Waldstraße
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