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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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sich hingegen nun wieder auf schmalen Nebengleisen quer über das gewellte Land. Vor allem kann ich hier meine bislang noch immer fragwürdigen Fahrkünste voll ausleben mit abrupten Bremsungen für ein schnelles Foto, Randkontakten mit Straßengräben bei plötzlichem Gegenverkehr oder Geschwindigkeitsräuschen bei kurvigen Talfahrten. Wolfgang beäugt meine Anwandlungen mit gelegentlichen Mahnungen betreffs Raserei oder lahmarschigen Kriechens; das Mittelmaß liegt mir im seltensten Fall. Er lobt auch, wie eine Mutter ihr folgsames Kind, wenn mir eine Etappe besonders gut »geglückt« ist, und im allgemeinen fühlt er sich als Beifahrer sicherer als ich hinter dem Lenkrad - der ahnungslose Glückliche!
    In Villaquirán halten wir neben der Kirche Siesta. Wie üblich läßt sich keine Menschenseele blicken, und so bleiben wir im aufgeregten Tanz einiger Mückenschwärme allein. Bis nach Castrojeriz, unserem heutigen Ziel, trennen uns nur knappe 15 Kilometer - Erlebniskilometer! Auf zünftigem Waschbrettasphalt holpern wir zwischen Brombeerwällen und Hängen buntester Sommerblumen, einem einzigen Farbteppich aus Weiß, Rot, Violett, Rosa, Gelb, Blau und allen Mischungen und Schattierungen daraus einem baum- und strauchlosen Hochplateau entgegen. Schotterfelder soweit das Auge reicht, die eine Hochspannungsleitung an einer endlosen Reihe krakenarmiger Gerüste von Nord nach Süd begrenzen. Wir wissen, was kommt und verderben uns damit leider die Überraschung, die uns hier schon einmal geboten wurde. Während einer flotten Talfahrt von eben diesem Hochplateau tat sich uns damals nach einer Kurve - noch ungefähr auf halber Höhe - ein unvergeßliches und für alle Zeit einprägsames Bild auf Castrojeriz auf. Reste einer Burg zahnten steil aus einem felsigen Kegelstumpf; zu Füßen dieser alleinigen Erhebung in weiter Ebene scharten sich genügend Häuser in einem gedehnten Halbrund um den Fels, die eine richtige Kleinstadt vermuten ließen, übrigens der einzige Hinweis auf Besiedelung und Leben im Umkreis einer weiten Mondlandschaft. Damals gerieten wir bei dem Anblick fast aus dem Häuschen, ließen unsere Räder am Straßenrand liegen und kletterten an den Hängen herum, um den tollsten Blickwinkel auf diese Unwirklichkeit auszukundschaften. - Jetzt freuen wir uns auf die erwartete Aussicht, doch bringen wir das Bild von heute mit jenem von damals nur schwer in Einklang, obwohl sich so gut wie nichts verändert hat. Ah doch, etwas ist anders: Der Campingplatz hat diesmal geöffnet. Beim letzten Mal campierten wir zusammen mit einer Radlergruppe aus Südtirol auf dem bereits geschlossen Platz, dessen unversperrtes Tor uns zu unerlaubter Einfahrt animierte. Und damals wie heute stellt sich der von weitem gewonnene Eindruck einer adretten Kleinstadt als Trugbild heraus. Vermutlich mehr als ein Drittel der Häuser des Ortes steht leer und verfällt buchstäblich zu Schutt und Staub. Der Rest weiß bestimmt von besseren Zeiten zu erzählen, vor allem das Zisterzienserstift am Ortsrand und die drei Kirchen im Ort selbst, allen voran die gotische Kirche San Juan mit ihrem ungewöhnlichen romanischen Turm und ihrem herrlichen Kreuzgang. Gerade endet die Abendmesse und eine kleine Schar älterer Frauen, die wiederum die unsicheren Schritte noch älterer Geschlechtsgenossinnen stützen, verteilt sich über den Platz vor der Kirche. Das schallende Gelächter und Geschnatter verrät nichts von Gebrechlichkeit oder gar Lebensmüdigkeit. Den greisen Damen haftet in ihrem Übermut trotz schlohweißen Haaren, faltigen Gesichtern, Arthritis und Rheumatismus immer noch etwas Jungmädchenhaftes an. So hallen ihre Stimmen und Rufe ungebremst die Gassen runter, bis sich der letzte Trubel endgültig hinter Ecken, Türen und Höfen verloren hat. Der Ort verstummt aufs neue, nur die Tauben gurren wohlige Töne von den Dächern.
    Zum Tagesausklang unternehmen wir noch einen Aufstieg zur Burg. Durch meterhohen Distelwald keuchen wir einen steinigen Weg zur Ruine hinauf und werden oben mit traumhaften Ausblicken in die umliegende Weite belohnt. Das Licht der sinkenden Sonne modelliert weiche Formen und Wellen in die Landschaft, die in ihrer Andersartigkeit wirklich auf dem Mond oder dem Mars liegen könnte, nicht jedoch die Herde blökender Schafe, die weit unten als ein wandernder heller Fleck ihr Glockengebimmel zu uns heraufschickt. Eine milde Abendbrise kühlt unsere sonnenverbrannten Gesichter, während wir Krähen und kleine

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