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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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Diebstahls. Es kam, wie’s kommen mußte. Der angeklagte Jüngling konnte seine Unschuld nicht beweisen und wurde zum Tod am Galgen verurteilt. Als die inzwischen nach Santiago weitergewanderten Eltern auf ihrem Rückweg nach ihrem Sohn am Henkerspfahl schauen wollten, stellten sie fest, daß er noch lebte. Sofort stürzten sie zum Landrichter, um ihm davon zu berichten. Der gute Mann traf gerade Anstalten sich über zwei knusprige Hühnchen herzumachen und kommentierte die Entdeckung der Eltern, daß die beiden gebratenen Hühner aufflattern und krähen würden, falls dies wahr wäre. Nun, sie liefen über den Tisch und krähten tatsächlich, und fortan war die Menschheit um eine Legende reicher. - Zum Angedenken an dieses Wunder wird noch heute in einer Wandnische der Kathedrale von Santo Domingo ein Hühnerpärchen gehalten, und es gilt als besonderes Glück, sollte man einen der beiden krähen oder gackern hören. Daß wir um unser Glück selber krähen müssen, ist klar; die armen Vögel wären längst heiser, würden sie jedem Besucher der Kathedrale das Glück ergackern.
    Ein buntes Treiben ankommender und weiterwandernder Pilger beherrscht den platz vor der Kathedrale. Auf Rädern oder auf Schusters Rappen - zu zweit, zu dritt, zu Gruppen organisiert, aber auch so manch einsame Camino-Bezwinger betreten die Freiluftbühne für die Szene der Pilgerpause. Hier werden Sonnenbrände eingesalbt, wunde Füße verarztet und schweißnasse Gesichter getrocknet; literweise Wasser gurgelt staubige Kehlen runter und umfangreiche Brotzeiten werden ausgepackt; Routenbeschreibungen werden studiert und Rucksäcke unter Aufbietung allen Geächzes und leidvoller Grimassen von neuem geschultert. Am Rande dieses Schauplatzes stehen vier Pferde, brav in Reih’ und Glied, an einem Geländer angebunden; die gesenkten Köpfe und zerzausten Mähnen im Schatten, die runden Flanken sonnenbeschienen, und daneben verrenkt sich gerade ein Hund seinen Rumpf auf der Jagd nach seinen peinigenden Untermietern. Von den beiden Reitern allerdings keine Spur; die sitzen sicher irgendwo bei einem Schoppen Bier. So sattelfertig zum Aufstieg einladend, erwecken die Gäule in uns erneut Reisegelüste einer anderen Art. Nur, ob wir auf dem Rücken der Pferde das Glück dieser Erde finden würden, sei dahingestellt - eine zu überlegende Alternative und neue Erfahrung wär’s allemal.
    Wir erweitern unsere Erfahrungen erst mal auf dem Gebiet des Traktorreisens und dampfen mit Getös’ und Schwung aus Santo Domingo hinaus. Wolkenloser Himmel spannt sich über sanfte Hügeln weiter Wein- und Getreidefelder und ein Vegetationsgebinde aus Pappeln, einigen Feigenbäumen, Brombeerwällen, disteligem Gestrüpp und Mohnblumen säumt unseren restlichen Weg durch La Rioja und weiter über die Grenze nach Burgos, der ersten Provinz auf dem Jakobsweg durch die Region Castilia y Leon. Zwanzig Kilometer immer inmitten eines Meeres unwirklicher Farben, die unter einer diesigen Himmelsbläue in einer eigenartig unirdischen Helligkeit flimmern.
    Dem setzt Belorado, ein Dorf mit schäbigem Ostblockflair am Ortsrand, einen vorübergehenden Dämpfer. Wir vertreten uns hier kurz die Beine und mustern nebenbei die sonnengebleichten und über die Jahre hin wellig gewordenen Ansichtskarten vor einem Geschäft. Die vorwiegenden Motive einer neuen Tankstelle, einer Reihe neuer Wohnblöcke, eines neu angelegten Parks mit Denkmal und Rasengrün sowie andere Ausgeburten einer lokalen, zukunftsweisenden Bauintensität bringen Uns zum Lachen.
    Vor uns wachsen allmählich in einer langen Kette bewaldeter Hänge die Oca-Berge aus dem Horizont, deren Überquerung uns nun bevorsteht. Einige Jakobspilger kreuzen unseren Weg oder wir den ihren und in Villafranca de Montes de Oca, am Fuß der Gebirgskette treffen wir sogar eine Radlergruppe aus Santo Domingo wieder. Gleich nach dem Ort beginnt die steile Auffahrt - Erinnerungen an unsere Radtour werden wach, als wir uns hier in schweißtreibender Hitze hinaufgeschunden haben. Heute pfeffert Jockl in kraftvollen Takten dem 1150m hohen La Pedraja. Paß entgegen, als wären Steigungen seine allerliebsten Herausforderungen. Der Paßhöhe folgt nach einer kleinen Absenkung des Geländes ein weiterer Anstieg wo zwischen Jungwald und dichtem Gebüsch noch immer die verkohlten Baumstümpfe eines Jahre zurückliegenden Waldbrandes wie abstrakte schwarze Skulpturen herausragen. Der mehrere Kilometer langen Abfahrt schließt sich eine baumlose

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