Mit Jockl nach Santiago
Ebene an, auf der schmutzigbraune Schafherden weiden. Die Fahrerei nimmt heute einfach kein Ende, und doch nähern wir uns mit jedem Kilometer dem Einzugsgebiet der Stadt Burgos mit seinen gesichtslosen Vororten und einer, im wahrsten Sinne des Wortes, zum Himmel stinkenden Industrie. Mit Sonnenbrand - endlich kann ich meine Gummistiefel wegpacken - und lahmgesessenen Gliedern trudeln wir in der Stadt ein und finden uns unversehens mitten in einem total chaotischen Verkehrsstau. Burgos erwartet königliches Geblüt, was die gänzliche Innenstadtsperre zur Folge hat. Wir schmoren keine zehn Minuten in diesem aufwendigen Umleitungsunterfangen mit kreuzungsblockierenden Bussen, hupenden Autos und deren schimpfenden Insassen. Zwischen Telefonzelle und Müllcontainer zwängt Wolfgang den Jockl unter den Augen der Polizei eiskalt und abgebrüht auf den Gehsteig und manövriert ihn in kühnen Wendungen und unter Herzrhythmusstörungen meinerseits aus dem Hexenkessel. Frech schlängeln wir uns hinaus aus der Stadt in ein geruhsameres Dasein am Campingplatz.
Selbstbewußt wie der pomadisierte Caballero und seine mit Rüschenkleid und strengem Haarknoten aufgemaschelte Señorita »reiten« wir auf unserem Jockl nach Burgos. Hoch über dem Verkehrsgeschehen thronend und unter erstaunten Blicken der Passanten rollen wir in gemäßigtem Tempo in die Innenstadt ein, die sich nach dem gestrigen Königsspektakel schon wieder erholt hat. Dies ist nun bereits unser dritter gemeinsamer Besuch von Burgos, mit Sicherheit eine der interessantesten und sehenswertesten Städte am Camino bzw. in ganz Nordspanien.
Unser erster Gang führt uns natürlich zur Kathedrale Santa María - Weltkulturerbe -, ein in herrlichster Gotik allesüberragender Bau, sowohl an Größe als auch an Steinmetzkunst. Von außen ein Traum aus himmelwärtsstrebenden Türmen und einer Vielzahl graziler Fialen, hohen Spitzbogenfenstern mit Glasmalereien und Klöppelspitzenmaßwerk, Portalen und prächtiger Rosette; innen ein einziges Erlebnis erhabener, räumlicher Großzügigkeit inklusive einer Reihe von Seitenkapellen, wovon jede fast das Ausmaß einer kleineren Pfarrkirche besitzt. Haupt- und Querschiff verbinden sich zu fliehenden Höhen, die in einem steinernen Spitzengespinst in der Vierungskuppel einen meisterhaften Abschluß finden; gestützt wird dieses Wunder an plastischer Ornamentik von vier mächtigen, kannelierten und figurengeschmückten Pfeilern, die allein schon einen Besuch wert wären. Ganz Burgos sonnt sich im Glanz dieses einmaligen Bauwerks.
Nur wir beide kämpfen, wie viele Kultur- und Sehenswürdigkeiten-Freaks, von Zeit zu Zeit gegen eine gewisse Übersättigung von allem Besten, Schönsten, Ungewöhnlichsten und Meisterhaftesten, daß uns das Einfache bald eher wieder zu Begeisterung hinreißt als halbe Weltwunder. Trotzdem bestaunen wir dann ein weiteres Wunder dieser Art zum wiederholten Male. In der, im übrigen recht einfach gehaltenen, gotischen Kirche San Nicolás, etwas oberhalb der Kathedrale gelegen, befindet sich eine unübertroffen steingemeißelte Altarwand; zugegeben fasziniert uns dieser Hochaltar heute mehr als die Kathedrale, ohne deswegen ihre Vortrefflichkeit schmälern zu wollen. Wir registrieren die allmähliche Verschiebung auf unserer Wertigkeitenskala und diskutieren diese Tatsache auch ausgiebig.
Und wo läßt sich in Burgos an einem strahlend schönen Tag besser plauschen, fachsimpeln, diskutieren und nebenbei das Geschehen ringsum beobachten wie in einem der schattigen Straßencafés auf der Flaniermeile des Paseo del Espolón. Zu jeder Tageszeit werden hier fernsehabstinente Leute wie wir besser unterhalten als vor dem Heimkino. Man erhält gratis zum »café con leche« (Milchkaffee) kurzfristig Einblicke in Lebensfragmente von Liebespärchen, Selbstdarstellern und Vereinsamten und nimmt in höflicher Distanz teil an Familientreffen, Herrenrunden, Damenkränzchen und Studentendates. Langeweile wird uns hier nie plagen. Da genügt allein die zufällige Begegnung zweier klunkerdekorierter Stadt-Señoras, die sich in der Überraschung ihres Wiedersehens an das nächstbeste Café-Tischchen komplimentieren und im Redeschwall gegenseitiger Beteuerungen und beginnendem Austausch neuesten Klatsches den eilig herbeitänzelnden Kellner an wartender Ungeduld fast sterben lassen. Die alternden Gesichter zu frischer Puppigkeit gespachtelt, mit pinkschimmernden Lippen und akkurat nachgestrichelten Augenbrauen, das
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