Mit Jockl nach Santiago
übersäen. Und so bleibt nur zu hoffen, daß sich diese architektonische Exotik den Stürmen von Zeit und Umwelt möglichst lange widersetzt, noch bevor eine Sanierung einem halben Neubau gleichkommen würde. Weit mehr Verfall zeigt sich an der Kirche la Trinidad im oberen Stadtbereich. Auch sie schmücken mudéjare Elemente, die sie zusammen mit dem Franziskanerkloster Peregrina außerhalb der Stadt in die großartige Riege maurisch angehauchter Bauwerke einreiht. Im Mudéjar-Stil, einem unter christlicher Herrschaft entstandenen Baustil der nach der spanischen Reconquista im Land verbliebenen maurischen Bevölkerung, gipfelt in vielfältigster Weise eine gelungene Synthese morgen- und abendländischer Kunst; obendrein ein Kulturpaket ersten Ranges.
Wir verlassen Sahagún als Vorhut eines lokalen Radrennens zu einem Abstecher ins sechs Kilometer entfernte Grajal de Campos, einem Örtchen mit einiger Vergangenheit, wovon noch ein guterhaltenes Castillo, die monumentale Pfarrkirche und der Palacio de los Marqueses zeugen. Einer anderen weniger noblen Vergangenheit begegnen wir im Steinschutt und Balkenmikado eingestürzter Häuser, deren wilder Unkrautbewuchs bereits in einer mehrjährigen Üppigkeit wuchert. Die einzig sichtbaren Bewohner von Grajal, keine fünf Seelen, nähern sich uns mit Jockl-fixierten Blicken, während wir uns möglichst unauffällig in die Gegenrichtung verdünnisieren - unser Auskunftsbüro hat heute strikt »cerrado« und damit basta!
Unter grauverhangenem Himmel und ersten gewittrigen Anzeichen setzen wir schließlich die Fahrt fort, zurück nach Sahagún und ungebremst weiter auf der N120 Richtung Leon. Das Land spiegelt die Trostlosigkeit des Himmels wider und dörrt unter trockener Hitze. Eine Hundertschaft von Störchen stelzt in einem Feld rechts der Straße herum und wird zum einzigen Blickpunkt in diesem kilometerlangen Einerlei. 27 Kilometer nach Sahagún mündet die Straße in die landebahnbreite N101, die wir eine Viertelstunde später nach einer Abzweigung gegen eine Wellbrettpiste tauschen. Die Augen brennen, ebenso das Sitzfleisch, und die bereits gesengten Nasenflügeln rösten unter einer hinter Wolkenballen wiederauferstandenen Sonnenglut. In Matadeón de los Oteros, einem vergessenen Häuserhaufen wie er im Buche steht, gönnen wir uns am Ortsrand in einem fraglichen Schuppen, der sich Bar nennt, eine Verschnaufpause. Hier erleben wir in einem, bis auf Theke, Tische und Stühle, kahlen Raum eine typisch spanische Sonntagnachmittagsstimmung. Die Herren der Schöpfung begrölen die Stiche ihres, mit beruflichem Ernst betriebenen, Kartenspiels oder legen Dominosteine zu winkeligen Bändern, während ein Fernsehkasten von der Größe einer Hundehütte einen Schwerhörigenbackground dröhnt.
Die Sonne bleibt, die bedrohliche Bewölkung auch. Im Gegenteil wächst sie sich von Minute zu Minute zu einer gewaltigen, das halbe Firmament füllenden schwärzlichen Walze aus. Wie von einem dunklen, gärenden Hefeteig verfolgt, hetzten wir, den Handgashebel am Anschlag, Valencia de Don Juan entgegen. Vor uns die Sonne, hinter uns die Hölle und um uns herum wieder einmal ein Ozean landschaftlicher Buntheit. Die Gewitterschwärze komprimiert jede dieser Farben zu äußerster Sattheit, und das späte Nachmittagslicht entfacht sie zu einem van Gogh-schen Lodern, wie wir es nur selten erleben. Dabei geht es über ungezählte Hügel, vorbei an Pappelgruppen vor zimtroter Erde in verschiedenen Schattierungen und einem Lehmziegeldörfchen von marokkanischer Märchenverfallenheit. Zusammen mit den Farben sind wir Feuer und Flamme und übersehen darüber fast die pralle Fleischigkeit einer über zehn Zentimeter langen Raupe mitten auf dem Asphalt. Ihre auffallige giftgrün-rot-schwarze Signalmusterung zwingt uns förmlich zum Stehenbleiben und Absteigen; solch ein königliches Exemplar liegt nicht alle Tage zu Jockls Reifen.
Inzwischen scheint sich die Wetterfront an einem bestimmten Punkt zu halten, und wir erreichen, noch immer sonnenbeschienen, Valencia de Don Juan, eine Stadt von ausgesprochener Lebendigkeit. In den Straßen lärmen Autos und Motorräder und Scharen von Abendpromenierern wogen zwischen Geschäften und Cafés. Valencia hat außer einer grandios gelegenen Burg und ihrem melodiösen Namen eigentlich nicht viel zu bieten; eine überwiegend schmucklose, stillose Stadt, die ihre ganze Popularität ausschließlich den stolzen Mauern und Türmen des hoch und fotogen über dem
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