Mit Konfuzius zur Weltmacht
Türme mit vorragenden Gesimsen erheben sich über dem Jangtse. Touristen können sich hier mit einem »Himmelspass« den Weg aus der Hölle erkaufen. Im Tempel drinnen drohen Figuren in grellen Farben. Manche der Teufel haben Menschengestalt − mit roten Lippen, roten Zungen und scharfen Zähnen. Andere Ungeheuer sind Drachen oder Ochsen. Eine Figur ist furchterregender als die andere. Hier treffen die Götter der Vorzeit auf das fortschrittliche, technikgläubige China der Moderne.
Von Fengdu aus führt der Weg auf dem Jangtse weiter in die Metropole Chongqing. Dort werden wir die dramatischste Veränderung erleben, die der Dreischluchtendamm für China gebracht hat – und der ganzen Welt.
Die größte Stadt der Erde
Ihr Tempo ist selbst für China atemberaubend: Tokio, Mexiko-Stadt, New York – längst hat Chongqing alle hinter sich gelassen. Nur an der globalen Öffentlichkeitsarbeit hapert es noch. Außerhalb des Reichs der Mitte kennt fast niemand die Mega-Metropole, dabei ist sie so groß wie Österreich – hat aber viermal so viele Einwohner; 32 Millionen Menschen leben hier. Chongqing erstreckt sich über 82 000 Quadratkilometer. Ford und Nissan bauen hier Autos, BASF investiert 8 Milliarden Yuan in einen hochmodernen Chemiekomplex. In wenigen Jahren sollen die meisten Laptops der Welt in dieser Stadt hergestellt werden. Sie zählt 57 Universitäten, ihre Wirtschaft wächst jährlich um 12 Prozent. Ein Betonwald aus leuch-tenden Wolkenkratzern. Eine Riesenausgabe des Ruhrgebiets. Ein Giga-Manhattan am Jangtse – die Metropole der Zukunft. Chongqing ist die größte Stadt der Erde. Zwar hat die Region Tokio eine ähnlich hohe Einwohnerzahl, verfügt aber nur über ein Sechstel der Fläche.
Vor 3000 Jahren lag hier die Hauptstadt des Königreichs Ba. Später regierte Prinz Zhao Dun aus der Song-Dynastie die Stadt. Als er im Jahr 1189 unserer Zeitrechnung Kaiser von China wurde, gab er ihr aus Freude ihren heutigen Namen: Chongqing, was »doppelte Feier« bedeutet. Während des Zweiten Weltkriegs verlegte Chinas Regierung ihren Sitz hierher. Manche sagen, das habe vor allem am schlechten Wetter gelegen: Im ständigen Nebel verfehlten japanische Flugzeuge ihre Ziele. Doch seine heutige Bedeutung gewann Chongqing durch den Dreischluchtendamm. Dessen Planern ging es nicht nur um Energie, sie verstanden sich auch als Ingenieure der Gesellschaft. »Seit durch den Dreischluchtendamm der Wasserspiegel angestiegen ist, wurde der Transport von großen Gütern in die Stadt Chongqing viel leichter, die Kosten dafür sind um ein Drittel gesunken«, sagt Yan Junyi, leitender Ingenieur des Damms. »Das hat zu einer rasant schnellen Entwicklung von Chongqing geführt.« Selbst 10 000-Tonnen-Schiffe können nun auf dem Jangtse bis dorthin fahren, weil der Damm den Wasserspiegel um 70 bis 100 Meter erhöht und den Fluss um 100 Meter verbreitert hat. Das hilft, den Westen Chinas zu erschließen.
Geografieprofessor Lan Yong, der die Regierung beim Dreischluchtendamm beriet, hat die chinesische Go-west -Strategie mit ausgetüftelt. Es geht darum, das Ungleichgewicht zwischen den reichen Küstenstädten wie Shanghai im Osten und dem unterentwickelten Westen zu überwinden. »Der Dreischluchtendamm hat Chongqing zu einer enorm wichtigen Stadt gemacht«, erklärt Lan Yong. »Sie spielt die Schlüsselrolle beim Plan, den Westen Chinas voranzubringen. Deshalb hat die Regierung Chongqing zur eigenen Provinz erklärt, die Stadt hat jetzt denselben Status wie Peking und Shanghai. Das alles verwandelt Chongqing in eine boomende Metropole.«
Früher gehörte Chongqing zur südwestchinesischen Provinz Sichuan. Diese hatte über 100 Millionen Einwohner und damit deutlich mehr als Deutschland. 1997 erklärte Chinas Führung Chongqing zum eigenständigen Stadtstaat, wie vorher nur Peking sowie die Hafenstädte Tianjin und Shanghai.Umliegende Städte und ländliche Gebiete wurden Chongqing zugeschlagen – Bevölkerungsexplosion per Gemeindereform. So entstand ein künstliches Manhattan, eingerahmt von den Flüssen Jangtse und Jialing. Tatsächlich gleicht der Stadtkern von Chongqing der Halbinsel Manhattan, wenn man ihn von den umliegenden Bergen aus betrachtet.
Die Verwaltungsreform veränderte viele Menschenleben. Dörfler aus dem Umland können jetzt ungehindert ins Stadtinnere ziehen – ansonsten sind solche Umzüge in China nach wie vor begrenzt, auch wenn die Wohnsitzkontrolle in den letzten Jahren etwas gelockert wurde.
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