Mit Konfuzius zur Weltmacht
zurück, sondern auch weit etwa hinter Shanghai Volkswagen. Doch dafür sind die Löhne hier niedrig, und mit billigen Autos wird das chinesische Hinterland bedient. »Chongqing gehört zum mittleren Westen Chinas und ist hier die zentrale Metropole«, erklärt Chefingenieur Qin. »Küstenstädte wie Shanghai haben sich zuerst entwickelt, Städte im Landesinneren wie Chongqing folgen. Das wird helfen, in Zukunft auch entlegene Gebiete wie Xinjiang und Tibet voranzubringen.«
Ein riesiger Markt. Die Entwicklungsmöglichkeiten scheinen fast unbegrenzt. Ob Qualitätskontrolle oder Montage des Armaturenbretts – es fällt auf, wie viele Frauen hier in der Produktion arbeiten. Auch das zeigt: Hier wächst ein Unternehmen der Zukunft in der Stadt der Zukunft.
Nebenan liegt die Baustelle für die nächste Fabrik von Lifan, bisher sieht man nur eingeebnete Erde, Bretter und Pfeiler. Mit ausgestreckter Hand zeigt der Chefingenieur: »Hier entsteht die neue Karosseriewerkstatt und hier die neue Lackierwerkstatt. Die Kapazität liegt bei 50 000 Fahrzeugen im Jahr. Aber in Wahrheit wollen wir 70 000 Fahrzeuge produzieren, in zwei Schichten. Für den zweiten Bauabschnitt der Fabrikhalle haben wir nur zehn Monate gebraucht. Das ist ein Beispiel für die schnelle Entwicklung von Chongqing und von Lifan.«
Von der schnellen Entwicklung zeugt auch eine nächtliche Schifffahrt auf dem Fluss Jialing. Auf dem Vergnügungsdampfer speisen und trinken die Passagiere oder singen Karaoke. Doch die eigentliche Attraktion erlebt, wer von der Brüstung aufs Ufer schaut: Ein Weltall von Lichtern spiegelt sich im Wasser und lässt den Horizont erstrahlen, Energiesparlampen werden hier eher sparsam eingesetzt. Wolkenkratzer leuchten golden, rot, blau, grün und gelb, Laser zerschneiden den Himmel. Die größte Stadt der Erde bietet großes Kino mit fest installierten Großbildleinwänden zu Land und mobilen auf dem Wasser. Darauf ersteht die Chinesische Mauer oder rekelt sich ein chinesisches Model am Pool. Auf Leuchtreklamen werben Vergnügungslokale für Sichuan-Speisen, Tanzabende oder auch ganz ungewöhnliche Angebote. So muss man hier nicht in den Zoo, um lebende Haifische zu sehen; sie schwimmen im Aquarium eines Nachtklubs der gehobenen Preisklasse.
Der Barkeeper zündet einen Cognac an und gießt ihn über eine Wodkaflasche, die von den Flammen umschlängelt wird. Hier wird der Exzess zelebriert, die exotischsten Cocktails, der maßlose Alkoholkonsum. Tanzen mit den Haien heißt das Etablissement. Und das ist kein Etikettenschwindel. »Unsere drei Haifische stammen ursprünglich aus Südafrika, aber wir haben sie in New York gekauft«, sagt Kundenbetreuerin Cecilia Jiang, angesichts ihrer zahlreichen Aufgaben völlig außer Atem. »Sie sind jetzt schon ein halbes Jahr bei uns. An die Umgebung und unser Wetter haben sie sich gewöhnt. Sie führen hier ein gutes Leben.«
Das gilt ganz sicher für die Neureichen in dieser neuerdings größten Stadt der Erde. Obwohl nur Klubmitglieder mit den Haien tanzen dürfen und die Aufnahmegebühr mehrere chinesische Monatsgehälter beträgt, ist der Laden überfüllt. Kräftige und wohlhabende Männer flirten mit schönen und wohlhabenden Frauen.
Zu ihnen gehört Chen Ying, die sich Coco nennt, in Anlehnung an die Pariser Modedesignerin Coco Chanel. Die langen, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Haare der Chongqinger Coco sind rot gefärbt wie bei vielen jungen Chinesinnen. Begleitet wird sie von ihrem Mann, der die Haare kurz geschoren hat und eine modische schwarze Hornbrille trägt. Die beiden fischen im Haifischbecken des hart umkämpften Marktes von Chongqing. Sie betreiben eine trendige Werbeagentur. Wenn sie abends ausgehen, ist das nicht reines Vergnügen, es dient immer auch der Kontaktpflege und dem Geschäft. Geschickt nutzt Coco dabei ihre weiblichen Reize, schaut dem Gesprächspartner tief in die Augen oder klatscht plötzlich seine Hand ab, wenn sie Gemeinsamkeiten feststellen. Aus den Lautsprechern klingt »New York, New York«, nicht Frank Sinatra, sondern der Rap-Song »Empire State of Mind« von Jay-Z im Duett mit Alicia Keys. Chongqing schläft nie − wie sein berühmtes Vorbild im einst feindlichen kapitalistischen Ausland.
Freundinnen von Coco treffen ein. Sie alle gehören zu einer Generation von Chinesinnen, die Maos Zeiten nur noch aus Erzählungen kennen – wenn überhaupt. »In Chongqing ist nachts jetzt ungeheuer viel los«, sagt Coco. »Das ist nur einer von
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