Mit Konfuzius zur Weltmacht
Festland, mit dem sie jetzt nur noch durch eine Brücke verbunden ist. Die 2000 Jahre alte »Stadt des Weißen Kaisers« ist eine wichtige Stätte chinesischer Geschichte. Heute quälen sich Esel mit Zementsäcken auf schmalen und steilen Treppen nach oben. Ein Verwaltungsgebäude wird erweitert. Der Sage nach trat aus dem Berg früher weißer Rauch aus, wie aus dem Mund eines weißen Drachen. Gong Sunshu erklärte sich deshalb zur Zeit Christi Geburt zum »Weißen Kaiser«. Nach seinem Tod wurde hier ein Tempel gebaut, der bis heute überlebt hat.
200 Jahre später starb hier ein anderer bedeutender Herrscher: Liu Bei (161 – 223), der den Staat Shu Han gründete, als China am Ende der Han-Dynastie in drei Reiche zerfiel. Ähnlich den Krippenfiguren in einer christlichen Kirche stellen lebensgroße Nachbildungen im Tempel dar, wie Liu Bei seine beiden Söhne am Sterbebett dem Premierminister anvertraut, vor diesem gehen die Kinder auf die Knie.
»Durch den Wasseranstieg sind wir eine kleine Insel geworden«, meint der zuständige Denkmalpfleger Li Daquan. »Dieser Ort sieht jetzt noch schöner aus als früher.« Warum schöner als früher? »Früher standen am Fuß des Hügels neuere Gebäude, die nicht zum Tempel passten und die Sicht verschandelten. Wegen des Wasseranstiegs wurden sie abgerissen. Jetzt sind wir von Natur umgeben.«
Das nächste Ziel der Bootsfahrt ist Wanzhou, eine Ansammlung von dunkelgrauen Wolkenkratzern und Kränen, die Erstere noch überragen. Mit 1,7 Millionen hat die Stadt etwa so viele Einwohner wie Hamburg. Bei der Ankunft fällt als Erstes auf: In der modernen Neustadt waschen Menschen ihre Kleider im Fluss. »Ich habe Wasser zu Hause, aber hier finde ich es bequemer, weil mehr Platz ist«, behauptet eine Frau, die ihr Halstuch in der Menge der Waschfrauen und -männer über einem Plastikbottich reibt. Den wahren Grund verrät ein Mädchen im Minirock, das in der Nähe Tee an Kunden ausschenkt, die auf Hockern am Fluss sitzen: Die Frauen waschen im Jangtse, weil die Wassergebühren für sie zu hoch sind. Nebenan entstehen neue Wolkenkratzer.
Die Schiffsanlegestelle am nächsten Morgen: Ein Rentner entspannt sich beim Tai Chi, dem Schattenboxen. Ruhe in Boomtown. Wir wollen von Wanzhou aus weiterfahren in den mittleren Westen Chinas. Zu den Landungsbrücken marschieren auch einige Dutzend junge Frauen, die alle mit roten Baseballkappen ausgestattet sind. Sie streben in die umgekehrte Richtung, ins östliche Shanghai – zum Studium. Früher wäre das schwerer gewesen, weil der Jangtse an dieser Stelle nicht so gut zu befahren war. So dient der Dreischluchtendamm auch der chinesischen Bildungsoffensive, ganz im Sinne von Konfuzius.
Für die nächste Strecke besteigen wir ein vier Stockwerke großes verrostetes, langsames Schiff, wie es chinesische Privatreisende benutzen, die Geld sparen wollen. Der Matrose hat gerade die Leinen losgemacht, da hört man Tumult am Pier. Ein Baby soll noch mit. Obwohl das Schiff bereits abgelegt hat, lässt sich eine Frau des Begleitpersonals den kleinen Jungen vom Vater reichen, um ihn an der nächsten Station bei den Großeltern abzugeben. Auch das ganz im Sinne des Konfuzius: »Der Edle vernachlässigt seine Verwandten nicht.«
Wieder führt die Fahrt vorbei an modernen grauen Betonklötzen und uralten Landschaften. Uns überholen winzige Fischerboote und Frachter, die Container und Säcke transportieren. Das langsame Schiff ermöglicht einen ruhigeren Blick auf die vorbeiziehenden Schönheiten und Hässlichkeiten. Anders als in den Schnellbooten kann man hier auch übernachten. Viele Reisende bleiben mehrere Tage auf dem Schiff, essen im Bordrestaurant. Die Kajüten kosten unterschiedlich, abhängig von der Etage und ob sie eine Toilette haben oder nicht. In einer der Kajüten drängen sich mehrere Generationen einer Familie aus Shanghai zwischen Koffern und Plastiktüten. Sie verbringen hier ihren Urlaub, haben zum ersten Mal die drei Schluchten gesehen. Reisen ist für die meisten Bürger der Volksrepublik etwas Neues. Auch dazu hatte Konfuzius etwas zu sagen: »Zu Lebzeiten der Eltern soll man nicht in die Ferne ziehen.«
»Das Leben von uns Chinesen ist heute ganz gut«, sagt die pensionierte Frau Wang. Gut in welcher Beziehung? »Bezogen auf das Leben. Alles ist gut.« Ihre ältere Schwester ergänzt: »Als Rentner können wir jetzt herumreisen und uns vergnügen.« Vor den Wirtschaftsreformen war das nicht möglich? »Natürlich nicht!«,
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