Mit Konfuzius zur Weltmacht
Breitbildfernseher, Einbauküche, Markenwaschmaschine, funkelnde weiße Böden und Wände. Doch Familienoberhaupt Lü, ein ehemaliger Bootsfahrer, sieht sich um sein Recht betrogen. Aus einer Aktentasche holt er die Kopie eines Beschwerdebriefs hervor, den er an die Stadtverwaltung geschickt hat. Darin fordert er eine größere Wohnung: »Diesen Antrag habe ich geschrieben. Die haben mein großes Haus abgerissen und mir eine kleine Wohnung gegeben. Ich habe schon viele solcher Anträge eingereicht, aber es hat nichts gebracht.« Ungefragt ergänzt er: »Wir müssen an die Partei glauben. Die Politik von ganz oben ist gut, aber hier vor Ort geht es drunter und drüber.«
So etwas hört man in China oft. Es hängt mit dem von Konfuzius geprägten Vertrauen in die Herrscher zusammen – man könnte auch von Autoritätsgläubigkeit sprechen. Da schiebt man die Schuld lieber den unteren Beamten zu, die, so wird vermutet, die Vorgaben von oben nicht richtig umsetzen.
Am Bau des neuen China kann man viel Geld verdienen, und in der Gegend des Dreischluchtendamms wird besonders viel gebaut. Die meisten Anwohner wehren sich nicht gegen das Umsiedeln an sich, vielmehr empört sie die Korruption, die dabei im Spiel ist. Oft unterschlagen Funktionäre einen Teil der Entschädigung, die den Zwangsumgesiedelten zugesagt wurde. »Die Menschen bekommen nach der Umsiedlung Wohnungen von höherer Qualität, sie haben genug zu essen und warme Kleidung«, sagt auch Umweltschützer Wu Dengming. »Warum sind sie trotzdem unzufrieden? Weil der Reichtum ungerecht verteilt ist – und wegen der Korruption.« Er weiß Konfuzius auf seiner Seite: »Ob Herrscher eines Staates oder Oberhaupt einer Familie, er braucht nicht beunruhigt zu sein, wenn Armut herrscht; ist der Besitz jedoch ungerecht verteilt, so muss er beunruhigt sein.«
In China sind es vor allem Intellektuelle in den großen Städten, die bereits den Schluss ziehen: Korruption wurzelt im System, da demokratische Kontrolle und unabhängige Medien fehlen. Die Wut der einfachen Leute in der Drei-Schluchten-Gegend hingegen richtet sich vor allem gegen die örtlichen Beamten.
Indes kennt die Regierung in Peking die Konflikte, fürchtet Unruhen und steckt deshalb eine Menge Geld in die neuen Städte, auch auf Kosten anderer Regionen. Die Anwohner des Dreischluchtendamms sollen bei Laune bleiben. Und das wortwörtlich, wie man jeden Abend in Wushan sieht: Der große Platz in der Mitte des Ortes wird mit chinesischen Schlagern beschallt. Hunderte Bürger kommen und tanzen, die meisten von ihnen sind Frauen mittleren und höheren Alters. Sie stehen in Reihen hintereinander und schwenken ihre Arme nach Vorbildern, die auf einer Videoleinwand zu sehen sind. Kinder vergnügen sich gleichzeitig auf Schaukellöwen und in Spielautos mit Elektromotor.
Tanz und Spaß werden von den Behörden veranstaltet, frei nach den Gesprächen des Konfuzius : »Nachdem der Meister im Staate Qi die Musik des alten Kaisers Shun gehört hatte, vergaß er für drei Monate den Geschmack des Fleisches. Er sprach: ›Ich habe nicht geahnt, dass Musik eine solche Wirkung haben kann.‹« Die Studentin Zhang Mei, flaniert hier mit ihren Freundinnen, sie meint: »Diese Politik der Regierung ist gut. Tanzen hilft der Gesundheit, besonders bei etwas älteren Menschen.«
Wo noch vor ein paar Jahren nahezu unbewohntes Bergland war, leuchten jetzt im Dunkeln Schaufenster und Schilder der Modeläden von K & CH und Joeone. Im Westen hat noch kaum jemand von diesen Marken gehört, aber ihre Namen klingen international. Und das ist beabsichtigt. Längst nicht jeder der Bewohner, die hier nachts spazieren, kann es sich leisten, in den neuen Boutiquen einzukaufen. Aber sie hinterlassen einen guten Eindruck. »Die Regierung investiert viel in der Drei-Schluchten-Region, vor allem in die Infrastruktur«, gibt auch Kritiker Wu Dengming zu. »Die Wirtschaft dort entwickelt sich gut. Die Städte sehen schön aus.«
Von Wushan aus fahren wir mit einem der mehrmals am Tag verkehrenden Schnellboote weiter flussaufwärts. Wolken hängen über den tiefen Schluchten. An den Ufern haben Buddhisten vor Jahrhunderten Pagoden errichtet, die hoch genug liegen, um vom Jangtse verschont zu bleiben. Doch einige der historischen Sehenswürdigkeiten haben nach dem Bau des Staudamms ihre Gestalt völlig verändert. Baidicheng, übersetzt die »Stadt des Weißen Kaisers«, ist heute eine Insel. Vor dem Bau des Damms gehörte sie als Berg zum
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